Schatten über Hongkongs Wahlkampf

■ China will nach Übernahme der Kolonie alle gewählten Institutionen auflösen

Berlin/Hongkong (taz) – Wenn am 1. Juli 1997 die Flagge Chinas über Hongkong aufgezogen wird, werden die Abgeordneten aller demokratisch gewählten Gremien des Territoriums schlagartig ihr politisches Amt verlieren. Was die chinesische Regierung bereits seit über einem Jahr angedroht hat, machte sie jetzt wahr. Eine am Mittwoch in Peking bekanntgegebene „gesetzliche Regelung“ sieht vor, daß der Hongkonger Legislativrat (eine Art Parlament) ebenso wie die Bezirksversammlungen und andere lokale Institutionen sofort nach der Übernahme der britischen Kronkolonie aufgelöst werden. Grund: Gouverneur Chris Patten hatte gegen den heftigen Widerstand Pekings Reformen verabschiedet, die dazu führen, daß mehr HongkongerInnen zur Parlaments- oder Bezirksratswahl gehen können als in den vergangenen Jahren.

In Hongkong, das sich auf die Wahlen zu den Distriktverwaltungen – der untersten politisch gewählten Gremien – am 19. September vorbereitet und wo der Wahlkampf durch die Plakatierung der KandidatInnen zahlreicher Gruppen und Parteien unübersehbar ist, blieben die Reaktionen zunächst relativ gedämpft. Zwar sprachen Zeitungen wie der Eastern Express gestern davon, daß China die „Totenglocke für die Reformen“ eingeläutet habe, und die für ihre Peking-kritischen Ansichten weithin bekannte Abgeordnete Emily Lau warnte vor den Folgen sinkenden Vertrauens in der Kolonie. Doch da kaum jemand noch zu hoffen gewagt hatte, daß China nach seinen heftigen Attacken gegen die Demokratisierung in Hongkong einen Rückzieher machen würde, gab es Berichten zufolge keine lautstarken öffentlichen Proteste.

Die prodemokratische Abgeordnete Christine Loh kommentierte, der Schritt Pekings sei ebenso erwartet wie „surrealistisch“. Denn gegenwärtig seien alle politischen Parteien einschließlich der Linksparteien voll mit dem Wahlkampf beschäftigt. „Jeder betrachtet diese Wahlen als legitim“, erklärte sie gegenüber der taz. Auch auf die Wahlen zum Hongkonger Parlament (Legislativrat) im kommenden Jahr bereiten sich alle Parteien und potentiellen Kandidaten bereits intensiv vor. „Ich glaube, daß es auch davor einen heißen Wahlkampf geben wird – vor allem aber wird es eine Gruppe von Repräsentanten geben, die legitimerweise behaupten können, daß sie für die Menschen von Hongkong sprechen. China wird damit umgehen müssen“, erklärte Loh.

Bislang haben die Vertreter Hongkongs immer erklärt, daß sie mit den 1994 und 1995 gewählten Institutionen gewährleisten wollen, daß die Übergabe Hongkongs mit möglichst wenig „Reibungsverlusten“ vonstatten geht. Nach diesem als „durchgehender Zug“ bezeichneten Konzept sollten Parlament und Distrikträte ihre normale Amtszeit, das heißt bis 1998 oder 1999, einhalten. Jetzt hat die Pekinger Regierung erklärt, China werde 1996 ein Vorbereitungskomitee ernennen, dessen Mitglieder aus chinesischen Funktionären und aus Bürgern Hongkongs bestehen sollen. Dieses Gremium soll mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden und die erste Regierung und das erste Parlament der „Sonderverwaltungszone“ Hongkong bilden. Wer sich aber als Kandidat für das Peking genehme Parlament zur Verfügung stellen darf, ist noch unklar. Jutta Lietsch