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Blumen auf Nachbars Parkplatz

■ Wohnen ohne Auto, geht das? / Initiativen in zwölf Städten / "Geisterstadt" in Lichterfelde für 2.000 Wohnungen vorgesehen / Widerstände sind rein ideologisch

„Wir haben noch nie ein Auto besessen und sind glücklich dabei“, erzählen die Löschners. Sie gehören zu den mehr als tausend Berlinern, die einem Aufruf folgten und sich für das Projekt „Wohnen ohne Auto“ interessieren. Zwar gibt es in der Stadt rund 700.000 Haushalte ohne eigenen Pkw. Doch niemand, der sein Auto abschafft, spürt dadurch eine unmittelbare Luftverbesserung. Schließlich läßt sich der vormalige Parkplatz nicht einfach bepflanzen: Dort parkt jetzt der Nachbar.

So entstand die Idee, in zwölf deutschen Städten neue Wohnviertel zu gründen: Dieser Tage wird beispielsweise im Bremer Holler-Land mit dem Bau von dreihundert Wohnungen begonnen, deren künftige Bewohner sich verpflichten müssen, kein eigenes Auto anzuschaffen. Juristische Bedenken gegen diese Autoverzichts-Erklärung im Mietvertrag wurden zwischenzeitlich durch ein Gutachten des Bremer Jura-Professors Peter Derleder ausgeräumt. Die einzige geplante Straße bleibt Versorgungsfahrzeugen, Müllabfuhr oder Krankenwagen vorbehalten. Einige wenige Parkplätze werden für Car-Sharing- Autos und Besucher bereitgestellt. Denn schließlich muß ja mal die Oma vom Bahnhof abgeholt werden, und die Freunde mit Auto können sehen, wie ihre Freunde ohne Auto denn so leben.

Für die Bewohner einer solchen Siedlung ist der Verzicht attraktiv: Autolärm und Luftverschmutzung nehmen deutlich ab, Kinder können Freunde besuchen, ohne daß sich ihre Eltern wegen gefährlicher Straßen sorgen müßten. Und ist das Quartier nur groß genug, gibt es auch genügend Fahrgäste für neue Linien der öffentlichen Verkehrsmittel.

Mehr Wohnraum – und auch noch Geld gespart

Außerdem birgt eine autofreie Siedlung ein enormes Sparpotential: „Ein Stellplatz kostet zwischen 15.000 Mark im Freien und 60.000 Mark als Tiefgaragenplatz. Darüber hinaus wird die Nutzfläche eines Grundstücks bei unveränderter Bebauungsdichte vergrößert“, weiß der Berliner Architekt Christian Schäfer.

Am südlichen Stadtrand Berlins ist das Gelände einer ehemaligen „Geisterstadt“ – hier übten amerikanische Soldaten den Häuserkampf – als Neubaugebiet für 2.000 Wohnungen vorgesehen. Die Grünen hätten hier gerne eine autofreie Siedlung. Voraussetzung dafür wäre allerdings, daß die stillgelegte S-Bahn wieder in Betrieb genommen würde.

Für Schäfer sind die Widerstände gegen das Projekt rein ideologischer Natur: „Bisher habe ich noch keinen einzigen plausiblen Grund gegen eine Siedlung ohne Autos gehört.“ Wichtig allerdings ist deren Größe. Denn erst ab einer bestimmten Bevölkerungsdichte lassen sich auch Geschäftsleute oder Ärzte dort nieder.

Auch in Tübingen (Südstadt) und Mainz („Lee Barracks“) werden autofreie Wohnprojekte diskutiert. In Tübingen zum Beispiel plant die Stadt, auf 65 Hektar Wohnraum für 6.500 Menschen sowie 2.500 Arbeitsplätze zu schaffen. Durch ein Verbot des Parkens auf öffentlichen Straßen und durch Car-Sharing will die Stadt den Autoverkehr um die Hälfte reduzieren. Und in Amsterdam haben sich inzwischen 6.000 Menschen für ein autofreies Gebiet mit 800 Wohnungen angemeldet. Ulrich Brandstetter-Madiedo

Infos bei AG Wohnen ohne Auto,

Joachim Falkenhagen,

Rankestraße 32, 10789 Berlin,

Telefon: 030 - 213 78 97

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