„Schütze dich mit Sprache!“

Ein Portrait des irakischen Dichters Al-Maaly und des Al-Kamel-Verlages in Köln  ■ Von Thomas Hartmann

Können Sie sich Köln als Zentrum arabischer Literatur vorstellen? Ich ehrlich gesagt auch nicht. Und dennoch ist etwas dran: Seit elf Jahren sendet der Al-Kamel- Verlag aus Köln seine literarischen Impulse in die arabische Welt. Über fünfzig Bücher in arabischer Sprache und vor allem die halbjährlich erscheinende Kulturzeitschrift Faradis (= Paradies) haben sich in den Insiderkreisen der arabischen Exilliteraten Europas, aber auch in eher avantgardistischen Zirkeln von Kairo über Bagdad bis in die Golfstaaten einen Namen gemacht.

Köln ist dabei allerdings nur ein Zufall. Hier blieb der Iraker Khalid Al-Maaly bei seiner Suche nach Zuflucht in Europa hängen. Hier erhielt er 1983 die Anerkennung als Asylbewerber und begann noch im selben Jahr mit der Herausgabe des ersten Buches. Denn Khalid Al-Maaly, experimentierfreudiger Lyriker mit einem Hang zu anarchistischer Direktheit, ist ein Besessener, wenn es um Bücher und um Literatur allgemein geht.

Al-Maaly ist fast stolz, daß die Zeitschrift Faradis, die er seit fünf Jahren gemeinsam mit seinem in Paris lebenden irakischen Dichterkollegen herausgibt, in allen arabischen Ländern verboten ist. Auch wenn dies finanziell natürlich einige Nachteile zur Folge hat. Aber das Geld ist ihm nicht so wichtig. Das Ganze ist kein rentabler Verlag, sondern eher ein Zuschuß- Betrieb. Al-Maaly leistet sich seinen Kamel-Verlag dennoch, und er macht dort alles allein: vom Computersatz bis zum Vertrieb.

Und das Programm? Sachbücher über Tabu-Themen der arabischen Gesellschaften – Religion, Erotik und Frauen – und natürlich Literatur. Darunter sind arabische Bücher, aber auch viele Übersetzungen moderner europäischer Literatur und Kulturkritiken ins Arabische. So wurden Essays von Horkheimer und Adorno genauso wie Gedichte von Ernst Jandl, Paul Celan, Georg Trakl, Arthur Rimbaud und Charles Baudelaire durch Faradis in die arabische Literaturszene eingeführt. Bestseller ist die vierbändige Textsammlung „Erotik bei den Arabern“, eine Mischung aus alten, meist von Geistlichen verfaßten Texten und modernen Essays. Über 1.000 Exemplare wurden im Durchschnitt pro Band bisher verkauft. Normalerweise startet ein Buch im Kamel-Verlag mit 300, höchstens 500 Exemplaren.

Von der Zeitschrift Faradis werden etwa 500 Hefte gedruckt und rund 100 verkauft. 30 Mark pro Heft, das können sich vor allem die reichen Golfaraber leisten, wenn sie nach London zum Shopping fahren. Dort werden dann auch die meisten Hefte verkauft, an zweiter Stelle liegt Paris. In ganz Deutschland gibt es nur ein Dutzend Käufer. Aber das heißt nicht, daß die restlichen Hefte vergammeln. Al- Maaly schickt sie in die arabischen Länder, auch wenn er weiß, daß er das Geld dafür nie sehen wird. Freunde und Kontaktpersonen für literarischen Austausch erhalten die Hefte per Post, das geht meistens durch die Zensur, selbst im Irak. Dort wurde etwa die vorletzte Nummer – mit einem Schwerpunktthema über die gesellschaftlich sehr engagierte Literatur der sechziger Jahre im Irak – tausendfach kopiert und von Hand zu Hand weitergereicht.

Faradis ist gegen die herrschende Strömung gerichtet, frech bis provokativ. Es rüttelt an Tabus. Am Anfang durfte Faradis in einigen Golfstaaten verkauft werden. Finanziell war allerdings auch das enttäuschend. So hatte ein Buchladen in Bahrain zwar Bücher des Kamel-Verlages und Faradis- Hefte verkauft – aber ein Drittel des Erlöses, einige tausend Mark, sind nie in Köln angekommen. Zur Zeit ist die Zeitschrift auch dort verboten. Warum? „Weil sie den Mut hat, über den tiefen Abgrund der Unsagbarkeiten und Tabus zu sprechen, der für die meisten arabischen Intellektuellen, die sich unterwürfig vor der Macht dieser Zeit verhalten, undurchquerbar ist.“ So ist es in einer Selbstdarstellung des Verlages nachzulesen. Der Verlag bekennt sich zum Säkularismus und versteht sich als „säkulares Sprachrohr arabischen Denkens“.

Die letzte Nummer von Faradis läßt die Verbotsgründe ahnen: „Nieder mit allen Arten des religiösen, literarischen oder sozialen Fundamentalismus; nieder mit den repressiven Gesetzen gegen Frauen, vor allem in Saudi-Arabien; nieder mit den altersschwachen etablierten, nur lobhudelnden arabischen Literaturzirkeln, den Brutstätten von Ignoranz, Vorurteilen und Chauvinismus; nieder mit der arabischen Art, gegen die Zustände zu opponieren: die Verhöhnung des einen Tyrannen ist nur die Form, sich einem anderen zu Füßen zu werfen.“

Zu den Provokationen von Faradis gehört auch, daß ein irakischer Dichter veröffentlicht wird, dem andere arabische Literaturzeitschriften verschlossen bleiben: Er ist nämlich Jude und lebt jetzt in Israel – schreibt aber weiterhin in seiner Muttersprache Arabisch. Der Al-Kamel-Verlag, so möchte es Khalid Al-Maaly, soll eben „ein Wachtraum von Künstlern sein, die frei fliegen im freien Raum ihrer kreativen Schöpfung“.

Eigentlich ist Khalid Al-Maaly Lyriker, wie gesagt eher von anarchistischer Gesinnung und dennoch vor dem Putsch der Baath- Partei in Bagdad mit den Kommunisten liiert. Seine ersten Bohemien-Jahre verbrachte er auf den Straßen der Großstadt Bagdad. Neunzehn Jahre alt, war er aus der Enge seines heimatlichen Beduinendorfes in der irakischen Wüste entronnen. Kurz vor seiner Flucht aus dem Irak Anfang 1979 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband mit dem fragenden Titel „Wem widme ich mein Buch?“. Die zweite Zeit des Umherirrens fand unter deutlich erschwerten Bedingungen in Frankreich statt: Zwei Jahre lang versuchte er in Tours und Poitiers, einen Fuß auf Europas Boden zu bekommen. Das deutsche Asylrecht war besser, also ging Khalid Al-Maaly nach Köln. In den achtziger Jahren veröffentlichte er fünf eigene Lyrikbände auf arabisch, seit 1990 sind die meisten in kleinen Verlagen auch auf deutsch erschienen. Seit Mitte der achtziger Jahre lebt Al-Maaly von Förderstipendien für junge Schriftsteller, etwa des Heinrich-Böll-Fonds oder der Stadt Köln. „Alle meine Versuche zu leben sind Versuche, meine Sprache aus der Gefangenschaft zu entlassen, sind Versuche, meinen Worten Bedeutung zu geben, um mich von Wörterbüchern zu befreien.“ Dies schrieb er 1988 in seinem ersten Prosaband, „Gedanken über das Lauwarme“. Es ist eine literarische Verarbeitung des jahrelangen Wartens im Kölner Asylantenheim Anfang der achtziger Jahre. „Täglich werde ich in diesem Asylantenheim verbrannt, sowohl durch die Verbote als auch durch das Erlaubte, und täglich sage ich mir: Schütze dich mit Sprache!“

Kontakt mit dem Al-Kamel-Verlag über: Der andere Buchladen, Wahlenstr. 1, 50823 Köln, Telefon 0221-736982