■ Bonn apart
: Schönheitskonkurrenz

Bonn (taz) – Der erste, der Unbehagen an der Politik verspürte, war Gott, als er seine Menschenkinder den Turm zu Babel erbauen sah. Was Peter Sloterdijk für die gesamte Geschichte der politischen Ideen konstatiert, verspüren wohl auch all jene, die sich derzeit wieder täglich die Sonntagsreden der politischen Klasse anhören müssen. Der Wahlkampf ist eröffnet. Aber hat der Souverän nicht einmal das Recht auf einen ordentlichen politischen Fight? Auf einen ernsten und harten Diskurs über brennende politische Themen, auf ein wenig Phantasie, Mut und Vergnügen am Gestalten?

Alles bestens unter Kontrolle, suggerieren uns die Berufspolitiker. Schöner als unter der Unions-Ägide kann Politik doch nicht sein: Aufschwung geschafft, Standort gerettet, Verbrechen bekämpft, Krankenkassen saniert, Renten gesichert und so fort. Alles in allem die „erfolgreichste Legislaturperiode seit 1949“. Wem das immer noch nicht genügt, für den hat die Union ja auch noch den Dicken aus Oggersheim (Slogan: „Simply the best“), der jedes Loch ausfüllt. Wo Opposition noch nie so leicht war, versucht es Rudolf Scharping ausgerechnet damit, sich die Paßform des Kanzlers anzueignen: die Reihen schließen und bloß kein konkretes Programm. Dafür gibt es jede Menge Schnapsideen, wie etwa einen Jackpot für jenen Autohersteller, der als erster eine Unter-fünf-Liter- Kiste in Serie gehen läßt.

Die Wahl, letztendlich eine Schönheitskonkurrenz zwischen Kohl und Scharping? Der Zuschnitt, dessen gedankliche Wegbereitung vermutlich eine Menge Geld gekostet hat, hat System und wird Politikmarketing genannt. Doch was heißt das? Systematische Bearbeitung des Wählermarktes mit einer neuen Kommunikationsoffensive, die auf Personalisierung und Emotionalisierung setzt. So tönt das nun also, wenn Werbeleute über Politik reden. Freilich reden auch immer mehr Politiker wie Werber, weil sie dem Wahlvolk immer weniger zutrauen. Fehlt eigentlich nur noch, daß die Parteien zur Verbesserung ihres angekratzten Images ihre Schriftzüge ändern und jährlich zu Bilanzpressekonferenzen einladen. Erwin Single