„Sonst ist das nur noch Hilfebetreuung“

Die Krise in Kuba erweckt die deutsche Solidarität / Die Unterstützung geht weiter  ■ Von Anja Kaatz und Sven Christian

Berlin (taz) – „Moralisch bewegt mich die Soli-Bewegung sehr stark, aber politisch ist sie meiner Meinung nach sehr schwach. Die Soli-Bewegung ist so blind wie die kubanische Regierung.“ Das sagte der kubanische Literat und Castro- Kritiker, Jesús Diaz, in einem Interview mit Cuba Libre. Diaz griff darin vor allem die fehlende innenpolitische Flexibilität Castros an. Cuba Libre ist das Hausorgan der „Freundschaftsgesellschaft Kuba/ BRD“, einer einst DKP-nahen Institution. Horst-Eckart Gross, der das Interview 1992 führte, arbeitet nicht mehr in der Redaktion. Auch seinen Vorstandsposten hat er, ebenso wie drei andere Vorstände, zurückgegeben. Ihren Rücktritt begründeten die vier in einem Editorial, erschienen in der Ausgabe 1/94 der Cuba libre. Dort heißt es: „Die Solidaritätsbewegung kann nicht durch Intoleranz, Engstirnigkeit, Opportunismus und vorauseilenden Gehorsam gestärkt werden. Die Linke braucht die Möglichkeit zur freien Debatte – hier und auch auf Kuba.“

Eine, die für diesen Text verantwortlich zeichnete, ist Margarete Effertz, Redakteurin und ehemalige Geschäftsführerin der Freundschaftsgesellschaft. Sie erzählt: „Wir haben mehrere Jahre lang versucht, Orginaltöne von Kubanern und Kubanerinnen unterschiedlicher politischer Couleur und auch unsere eigene Meinung ins Blatt zu bringen, nicht nur die offiziellen Statements aus der Parteizeitung. Das war vielen im Vorstand nicht genehm. Sie haben auf einer Sitzung, bei der wir nicht anwesend waren, beschlossen, daß in Zukunft jeder Artikel vor Abdruck dem Hauptvorstand zur Begutachtung vorgelegt werden muß. Gegen diese Zensurbestimmung haben wir uns gewehrt.“

Vergeblich. Margarete Effertz bekam Hausverbot und wurde beurlaubt. Die Schlösser in der Geschäftsstelle sind sicherheitshalber ausgetauscht worden. Für sie ist klar: „Diese Fraktion hat sich in der Kuba-Solidaritätsbewegung durchgesetzt. Es gibt auch andere, aber die sind viel weniger etabliert.“ Auch sie ist vorsichtig in ihrer Kritik an Castro. Staatsmännisch hervorragend habe er sich in den letzten Wochen verhalten, sagt sie.

Sie ist sich auch sicher: Die Ursache für die Massenflucht aus Kuba liegt ausschließlich in der durch die US-Blockade geschaffenen ökonomischen Krise. Aber sie will auch nicht schweigen zu den Menschenrechtsverletzungen auf der Insel: „Die Opposition gehört nicht ins Gefängnis, mit denen muß man reden. Die politischen Bewegungen müssen sich organisieren dürfen, sie müssen ihre Ideen verbalisieren können.“ Ist das realistisch unter Castro? Ein Zögern, dann: „Ja, ich glaube schon.“

Heinz Hammer ist noch immer im Vorstand. Der Mann, der den ehemaligen Kollegen vorgeworfen hatte, sie betrieben „nicht mehr kubafreundlich zu nennende Propaganda“, zögert nie im Interview. Für ihn ist klar, daß Kuba eine Demokratie ist: „Aber natürlich ist es unsinnig, in Kuba ein Mehrparteiensystem zu schaffen. Das ist ungeheuer eurozentristisch gedacht. In einem Land wie Kuba gibt es einfach andere Demokratiemechanismen.“ Zum Rücktritt von Teilen des Vorstands sagt er nur: „Das waren interne Angelegenheiten. Da ging es um den persönlichen Umgang miteinander, um nicht eingehaltene Vereinbarungen.“

Die Soli-Bewegung ist vielfältig. Ihr Spektrum reicht von den Freundschaftsgesellschaften über die IG-Medien- Jugend und Dritte- Welt-Laden-Initiativen bis zu PDS und Grünen. Eine, die schon jahrelang politisch für den Fortbestand Kubas kämpft, davon in den vergangenen vier Jahren als parteilose Europaparlamentarierin für die Grünen, ist Dorothee Piermont. Sie sammelte nicht nur Geld, eine Viertelmillion Mark, um die Kubaner mit Öllieferungen in ihrer Energiekrise zu unterstützen, sondern trug auch maßgeblich dazu bei, daß die EU vergangenen Herbst einen Kubabericht verabschiedete, der deutlicher als die Bundesregierung die US-Blockade verurteilte.

Auch für sie ist die kubanische Krise keineswegs hausgemacht. Sie sieht Castro in der zukünftigen Entwicklung nicht als Bremsklotz: „Es geht nicht ohne ihn. Er bringt am intensivsten Ideen ein, hat ein ungeheures Prestige in der Bevölkerung. Es geht weiter mit ihm. Alles andere von hier aus zu fordern ist für mich Imperialismus in Reinkultur.“ Gerd Rieger, Kuba-Spezialist beim Informationszentrum Dritte Welt in Freiburg: „Das wird man nirgends hören in der Soli-Bewegung, daß jemand Castro weghaben will und zum Beispiel ein Mehrparteiensystem. Dann wäre unsere Arbeit doch keine Solidaritätsaktion mehr, sondern nur noch reine Hilfebetreuung.“

Ungeachtet der politischen Querelen in der Soli-Bewegung, stagniert die Arbeit nicht. Zum Beispiel betreut die PDS-nahe Gruppe „Cuba si“ zusammen mit der TU Berlin ein Projekt in Valle de Peru. Vor allem durch Know- how wird dort versucht, die Milchproduktion zu verbessern. Da die Kraftfutterimporte weggefallen sind und kein Kraftstoff für die aufwendige mechanische Futterwirtschaft zur Verfügung steht, sollen durch Umstellung auf Weidewirtschaft die Boykotts der Industrienationen umgangen werden. Die Bundesregierung unterstützt Kuba nicht weiter mit Milchpulverlieferungen, obwohl im Einigungsvertrag versprochen. Deswegen sind Projekte, die die Eigenversorgung unterstützen, für Kuba weiterhin lebenswichtig – ungeachtet der politischen Querelen.