Die Macht der Frauen und die Macht der Planer

■ Nach Jahren der Zwangssterilisationen entdecken die Regierungen die Rolle der Frau und das ökologische Argument in der Bevölkerungspolitik

Am Montag soll sie also beginnen, die große „Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung“ der Vereinten Nationen in Kairo. 148 Länder haben Delegationen entsandt, ein paar weniger als bislang angenommen, nachdem in den vergangenen Tagen der Sudan, Saudi-Arabien und der Libanon ihre Teilnahme absagten.

Verabschieden sollen die Delegierten einen weltweiten „Bevölkerungs-Aktionsplan“, und darüber, wie der aussehen soll, streiten sich die Teilnehmerstaaten schon seit der ersten Vorbereitungskonferenz („Prepcom I“), die im März 1991 in New York stattfand. Der Entwurf des Abschlußdokuments ist mehrmals verändert worden, und auch die Prepcom III, die letzte Vorbereitungskonferenz im April dieses Jahres, brachte keine endgültige Einigung. Auf den 116 Seiten des Abschlußdokumentes sind noch 208 Passagen mit Klammern versehen – und das heißt, sie sind strittig.

Bei den Zielen und Maßnahmen finden sich die meisten Klammern, wenn von der Förderung von Familienplanungsprogrammen oder der Gesundheitsaufklärung von Frauen die Rede ist. Uneinigkeit besteht insbesondere mit dem Vatikan, der zusammen mit einigen lateinamerikanischen Ländern jegliche Erwähnung von Verhütung oder gar legaler Abtreibung aus dem Dokument zu verbannen suchte.

Zwei wirkliche Neuerungen gibt es in diesem Jahr gegenüber den vergangenen Bevölkerungskonferenzen von Bukarest 1964 und Mexiko-Stadt 1974: die Methoden, die vorgeschlagen werden, um das Bevölkerungswachstum zu reduzieren, haben sich verändert. War noch bis in die siebziger Jahre die Bekämpfung von Hunger und Armut das Hauptargument gegen ein „zu großes“ Bevölkerungswachstum, so ist die Diskussion der neunziger Jahre geprägt von dem Begriff der Rio-Konferenz: nachhaltige Entwicklung.

Vielen meinen heute, daß ein Zuwachs an Bevölkerung in ursächlicher Beziehung zur Umweltzerstörung stehe. Im Entwurf des Abschlußdokumentes heißt es, bevölkerungspolitische Maßnahmen sollten die Ziele der „Agenda 21“ von Rio unterstützen. Demographische Daten sollen benutzt werden, „um ein nachhaltiges Ressourcenmanagement zu fördern, insbesondere in ökologisch fragilen Systemen“. Aber zunächst mal geht es wie eh und je um Vermeidung. Und die hat im Süden stattzufinden. Der Norden betreibt unverändert eine pronatalistische Politik, auch wenn Bevölkerungsdichte und Ressourcenverbrauch pro Kopf hier um ein Vielfaches höher sind.

Außer der ökologischen Begründung gibt es noch einen anderen neuen Aspekt in Kairo. Frühere bevölkerungspolitische Maßnahmen waren mit Zwangssterilisationen und starken Risiken für die Frauen verbunen, die zur Verhütung verpflichtet wurden, ohne die gesundheitlichen Folgen zu kennen. Das führte zwar nicht zum erwünschten „Erfolg“, dafür aber zu Widerstand von Frauenorganisationen. Darum sind diesmal Vorschläge von Frauenorganisationen mit eingearbeitet worden. Im Umfeld von Rio hatte sich eine Gruppe internationaler Frauenorganisationen gebildet, die unter dem Stichwort des „Empowerment“ Einfluß auf die Beschlüsse von Rio zu nehmen gedachten.

Die Forderung nach Selbstbestimmung, die die Empowerment- Frauen erhoben, deckte sich mit den neuen Strategien der bislang erfolglosen Bevölkerungsplaner. Und so ist es nicht verwunderlich, daß der Weltbevölkerungsbericht 1994 unter der Überschrift „Die Macht der Frauen stärken“ über die Nachrichtenagenturen lief.

Am Ziel der Bevölkerungsreduzierung freilich hat sich nichts geändert. Und so ist fraglich, ob die Entscheidungsfreiheit auch dann noch Grundlage des bevölkerungspolitischen Diskurses sein wird, wenn die demographischen Ziele dadurch nicht erreicht werden. Bernd Pickert