Daumen, Dehnen und Brian Conolly-Mähne

■ Der Hamburger SV besiegte Karlsruhe nach einem unwiderstehlichen Schlußspurt noch mit 3:1, wobei auch Sergio Fabian Zarate ein wenig mit dabei sein durfte

Feucht und kalt schlug sich das Wetter am Sonnabend nachmittag auf der Ersatzbank nieder. Einer jedoch schien es nicht nötig zu haben, den Sitz auf dem glitschigen Holz durch eine wärmende Trainingshose abfedern zu müssen. Während die sich seine Banknachbarn tief in beschichtete Baumwolle hüllten, stemmte Sergio Zarate seine nackten Knie einem fleischigen Vorwurf gleich in den Nieselregen: Keine Chance für Benno Möhlmann am Einsatzwillen seines argentinischen Neuzugangs vorbeizusehen.

Der Blick aufs Feld war für den HSV-Coach auch nicht angenehmer. Winfried „Winnie“ Schäfer, Trainer des Karlsruher SC, stand noch und hatte gerade seine Brian-Conolly-Mähne nach hinten gebügelt, als der Ball, irgendwie angetrieben von KSCler Thorsten Fink, ins HSV-Tor trullerte – 15.32 Uhr und „Daumen runter“ kommentierte die Anzeigetafel. Während sich Zarates Schenkel langsam röteten und mit Gänsehaut überzogen, mußten die Augen der Zaubermaus mitansehen, wie ihn einer in punkto Mäuschenhaftigkeit gewaltig in den Schatten stellte. Berufsbübchen Thomas Häßler fegte schneller, wendiger und kleiner übers Grün, als wir es bisher vom langmähnigen Zarate gesehen hatten.

Qualität und Tempo des Spiels verflachten trotzdem. Wesentlichen Anteil daran hatte die pingelige Regelauslegung von Schiri Rainer Werthmann, der Valdas Ivanauskas kurz vor der Pause die gelb-rote Karte (gelb wegen Meckerns in der 28.) unter die schnaubende Nase hielt. Kaum einer der 25.000 Zuschauer gab zu diesem Zeitpunkt noch einen Pfifferling für den HSV, und selbst Benno Möhlmann schien zum lethargischen Kick seiner Elf nichts einzufallen. Schon elf Minuten vor Anpfiff der zweiten Halbzeit trat er wieder aus der Kabine.

Jörg Albertz jedenfalls durfte die Hosen runterlassen und für Andreas Sassen aufspielen, derweil Zarate immer mukscher wurde. Er streifte sich vorsichtshalber und gut sichtbar schon einmal das rote Shirt über, das seine Mitspieler gegen die blauen Trikots, die denen der Gäste zu sehr ähnelten, getauscht hatten, als Stefan Schnoor den Ausgleich erzielte – 16.28 Uhr: „Daumen hoch“. Zarate begann stoisch mit minimalistischen Dehnübungen, als Jörg Albertz seinen konzentrierten Einsatz mit dem 2:1 noch verschönte – 72. Minute: „Daumen hoch“, die Zweite.

Nun praktizierte der HSV jenes konsequent stürmische Spiel, in das Sergio Zarate so gut paßt. Möhlmann erbarmte sich in der 75. Minute und der dankbare Schützling trug tatsächlich einiges zur finalen Ankurbelung bei. Jörg Albertz vervollkommnete die HSV-Harmonie in der 89. Minute. Er schenkte, frei vorm Tor, Yordan Letschkow den Abschlutreffer. Der Bulgare schob mit genüßlichem Zögern die Kugel ins Netz, so als wolle er Häßler noch heranwinken, den Ball heben und mit dem Kopf ins Tor lenken. Zarate zumindest umarmte seinen Kollegen nach dem Abpfiff stürmisch. Claudia Thomsen