Bulgarien sieht Neuwahlen entgegen

■ Ministerpräsident Berov gescheitert / Parlamentssitzung am Mittwoch

Budapest (taz) – Sie hielt sich länger als alle ihre Vorgängerinnen der letzten fünf Jahre und amtierte dennoch kaum eine halbe Legislaturperiode: Am Freitag reichte die fünfte postkommunistische Regierung Bulgariens unter Ministerpräsident Ljuben Berov ihren Rücktritt ein. Da keine der beiden größten Parlamentsfraktionen, der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) und der Union der demokratischen Kräfte (SDS), eine neue Regierung bilden will, könnten statt der regulären Parlamentswahlen im Oktober 1995 bereits in diesem Jahr vorgezogene Neuwahlen stattfinden.

Der Rücktritt der bulgarischen Regierung kam nicht überraschend. Denn Berovs „unabhängiges Expertenkabinett“ war von Anfang an umstritten. Nachdem im Herbst 1992 eine SDS-Regierung gestürzt worden war, hatten die Sozialisten Ende des Jahres die Berov-Regierung gebildet. Der parteilose Ökonom Berov trat mit der Losung einer „Regierung der Privatisierung“ an, versprach umfangreiche Reformen mit geringen sozialen Kosten und legte ein ehrgeiziges Wirtschaftsprogramm vor. Einlösen konnte der 68jährige davon so gut wie nichts. Sein einziger Erfolg blieb ein Ende Juni unterzeichnetes Abkommen über die Reduzierung der 9,3 Milliarden Dollar Auslandsschulden bei ausländischen Privatbanken. Die wiederholt angekündigte Massenprivatisierung ist jedoch bislang ebensowenig erfolgt wie die versprochene Rückgabe von einst kollektiviertem Land. Das erste Halbjahr 1994 bescherte den Bulgaren dagegen einen neuen Inflationsrekord, während die „geplante“ Produktionssteigerung ausblieb. In dem Neun-Millionen-Land sind 650.000 Menschen arbeitslos.

Doch die Berov-Regierung scheiterte nicht nur an ihren Mißerfolgen und ihrer Unentschlossenheit. Die beiden großen Parteienblöcke der Sozialisten und Demokraten, von denen keiner im Parlament eine Mehrheit stellt, attackieren sich seit langem in schwer nachvollziehbarer Weise. Die Partei der türkischen Minderheit in Bulgarien (DPS), Zünglein an der Waage, schwankt unentschieden zwischen den beiden Blöcken und verhilft mal dem einen, mal dem anderen zur Mehrheit. So mußte sich die Berov-Regierung in zwanzig Monaten Amtszeit sechs Mißtrauensanträgen stellen. Die Sozialisten sprachen der von ihnen aufgestellten Regierung bislang zwar immer das Vertrauen aus, ließen es dann aber an einer Unterstützung fehlen oder distanzierten sich gar von ihr, weil sie einen Popularitätsverlust befürchteten. Nach zahlreichen internen Debatten über vorgezogene Neuwahlen scheinen sie deren Zeitpunkt nun für gekommen zu halten.

Es gilt als wahrscheinlich, daß in der für kommenden Mittwoch angesetzten Parlamentsabstimmung eine Mehrheit der Abgeordneten das Rücktrittsgesuch der Berov- Regierung befürworten wird. Sollte danach keine der Fraktionen ein Mandat zur Bildung einer neuen Regierung annehmen, werden Neuwahlen ausgeschrieben. Keno Verseck