Mielke-Richter befangen?

■ Verteidiger moniert Zellenbesuch

Berlin (taz) – Der neue Prozeß gegen Ex-Stasi-Chef Erich Mielke vor dem Berliner Landgericht ist schon am ersten Prozeßtag wegen der Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters ins Stocken geraten. Der 86jährige Mielke steht wegen der Schüsse an der innerdeutschen Grenze erneut vor Gericht, nachdem das Verfahren gegen ihn im Honecker-Prozeß vorläufig eingestellt worden war. Den Vorwurf der Befangenheit stützt der Anwalt Stefan König auf einen unangekündigten Besuch des Vorsitzenden Richters Hansgeorg Bräutigam in Mielkes Zelle.

Am 29. September ließ sich Bräutigam die Zellentür des seit nunmehr fast fünf Jahren Einsitzenden aufschließen, um sich über dessen Gesundheitszustand zu unterrichten. Dann begrüßte er den Angeklagten „freundlich“ und stellte sich seinerseits vor. Mielke hatte den Besuch offensichtlich nicht richtig einordnen können. Zu seinem Anwalt sagte er: „Das war Bräutigam? Der sah doch ganz anders aus ...“ Die Besorgnis der Befangenheit, so König, ergebe sich daraus, daß auch bei einem solchen Besuch Förmlichkeiten zu beachten seien. Der Richter hätte sich vergewissern müssen, daß dem Angeklagten klar sei, daß es sich um eine Vernehmung handele.

Schon im Honecker-Prozeß mußte Bräutigam seinen Vorsitz wegen Befangenheit aufgeben. Dort hatte er die Dummheit besessen, mit einer Lüge sein merkwürdiges Verhalten zu verdunkeln. Anstatt zuzugeben, daß er über die Anwälte einen Autogrammwunsch an Honecker hatte weiterleiten wollen, hatte er behauptet, es handele sich um eine normale „Postsache“. Bis Mittwoch könnte das Gericht darüber befunden haben, ob ihn auch seine jetzige Unachtsamkeit den Vorsitz kosten wird. ja