Striptease, Greuel, Sexualaufklärung

■ „Ab 18“: Eine Ausstellung in Aachen zur Zensur

Es ist erst wenige Monate her, da schlug der Deutsche Journalistenverband (DJV) Alarm. Der im März verabschiedete „Kölner Appell zur Freiheit der Presse“ sollte auf sich häufende polizeiliche Übergriffe auf Redaktionen und Büros freier Journalisten aufmerksam machen. Das daraufhin einsetzende Medienecho war groß, die Aktion dennoch kein Erfolg auf ganzer Linie. Oskar Lafontaine drückte seine Verschärfung des Pressegesetzes ungerührt und so zeitig vor der Bundestagswahl durch, daß heute niemand mehr davon spricht. Gleiches geschah in Thüringen, und lediglich der noch weitreichendere Entwurf der Bundes-CDU ruht bis zum Oktober in der Dankeschön-Schatulle des womöglich altneuen Kanzlers.

Eine Ausstellung zur Zensurgeschichte nach '45 kommt insofern zur rechten Zeit. „Ab 18“ ist das Ergebnis eines Seminars am Institut für Soziologie der Universität Münster. Ziel der Ausstellung sei es, so Mitinitiator Josef Spiegel, die beiden Komplexe „Macht, Herrschaft und semantische Diskurskontrolle“ sowie „Werte und Wertewandel“ zu beleuchten. Das gelingt vor allem dank der schlüssigen Präsentation: Sofern möglich, wurden „Vorher“ und „Nachher“, zensierte und genehmigte Versionen, einander gegenübergestellt. Die Exponate aus den Bereichen Kunst, Comic, Werbung, Musik, Zeitschriften und Buch vermischen skurril Altertümliches mit Zensurbeispielen aus der jüngsten Vergangenheit. Wer soeben noch vor der retuschierten Version eines allzu transparenten Negligés aus einem Prinz-Eisenherz-Comic der 50er Jahre stand, wird wenige Meter weiter mit dem Titanic-Bad von Björn Engholm oder einem Plattencover der Fascho-Band „Tonstörung“ konfrontiert. Neben „Klassikern“ der Zensurgeschichte wie Bommi Baumanns „Wie alles anfing“ oder John Willies Bondage-„Abenteuer der Sweet Gwendoline“ ermöglicht die Ausstellung aufschlußreiche Überschläge zum Thema Wertewandel. Während die „Sittenromane“ der 50er Jahre ab 21 und unter der Ladentheke gehandelt wurden, stehen ihre Nachfolger, die heutigen „Arzt-“ und „Heimatromane“, neben den Süßigkeiten an der Supermarktkasse.

Die Ausstellungsmacher taten gut daran, im Einführungstext auf die Ambivalenz von Tabubruch und Zensur hinzuweisen. Eine Indizierung setzt keinen Qualitätsstempel, wo Provokation zum bloßen Selbstzweck verkommt. Längst hat die Werbung gelernt, auf Zensurmaßnahmen gezielt hinzuarbeiten und aufklärerisches, satirisches oder Kunstinteresse als Deckmäntelchen für rein kommerzielle Intentionen zu benutzen. Die Benetton-Kampagne steht hier in einer Reihe mit jenen Videothekaren, die Indizierungsanträge gegen ihre Ladenhüter stellen.

Der Katalog zur Ausstellung, in erster Auflage schon vergriffen, wartet auf mit einem reich bebilderten Aufsatz „Zur Geschichte der Zensur“, der den Weg von Platons Kritik an Homers „blutrünstigen Götter-Stories“ bis in unsere Tage nachzeichnet. In der jüngeren Vergangenheit war es vor allem der kirchliche „Index Romanus“, der bis zu seiner Aufhebung 1966 so unterschiedlichen Werken zu Ruhm per Verbot verhalf wie Kants „Kritik der reinen Vernunft“, Voltaires „Candide“ oder sämtlichen Werken von Thomas Hobbes und Emile Zola. Während noch 1948 alle – auch zukünftige – Bücher Sartres auf den Index gesetzt wurden, fand sich Hitlers „Mein Kampf“ dort niemals. Die Rolle der Sittenwächter spielen heute Gremien wie die 1954 gegründete „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ (BPS) oder die seit 1949 existierende „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ (FSK). Zwischen 1954 und 1979 landeten über 8.000 Titel auf der Verbotsliste der BSP, vor allem aus den Bereichen „Striptease-Veröffentlichungen“, „Greuelmagazine“ und „Sexualaufklärungs-Hefte“.

Flankiert wurden die punktuellen Indizierungen der meist halbstaatlichen oder privaten Kontrollinstanzen von sie legitimierenden Gerichtsurteilen und Gesetzesinitiativen. Marksteine wie das Verbot der KPD 1956, der „Radikalenerlaß“ Mitte der siebziger Jahre, die Installation des Paragraphen 129a und zuletzt die erwähnten Pressegesetznovellen stehen für die ungebrochene Zensurtradition im Nachkriegsdeutschland. So manch einer greift da schon mal zu präventiven Schutzmaßnahmen. Das mußten auch Josef Spiegel und sein Kollege Roland Seim erfahren. Den Rücken ihres Kataloges ziert, unter einer rüden Gruppensex-Comic-Szene, der Spruch: „Der Verlag empfiehlt, dieses Buch Minderjährigen nicht zu überlassen.“ Bernd Imgrund

„Ab 18“ ist noch bis zum 16. September im Aachener Autonomen Zentrum, Vereinsstraße 25, zu sehen. Eintritt frei, täglich außer Di und Do 17-20 Uhr. Danach steht „Ab 18“ interessierten Veranstaltern zur Verfügung. Kontakt: Josef Spiegel, Tel 0251/ 64920. Der gleichnamige Katalog ist im Buchhandel für 19.80 Mark erhältlich.