■ Osteuropa muß Reformen gegen Mehrheiten durchsetzen
: Verschmähte Liebhaber des Marktes

Versuche, Systemänderungen und marktwirtschaftliche Bedingungen zu schaffen, finden in den postkommunistischen Ländern bei der Bevölkerung keine Mehrheit. Einzige Ausnahme sind vielleicht noch die Tschechen, aber die tschechische Transformation verläuft auch moderater, weil Tschechien seine Wirtschaft in einem recht ansehnlichen Zustand vom Kommunismus geerbt und es nur mit einer kleinen Gruppe von marktfeindlichen Bauern zu tun hat. In anderen Ländern werden marktwirtschaftliche Reformen entweder unter dem Druck der Bevölkerung verwässert, oder die folgenden Wahlen bringen Parteien an die Macht, die dem Markt kritisch gegenüberstehen und eine Verringerung der Reformkosten versprechen. Lösungen, wie man Reformen durchführen kann, die von der Bevölkerungsmehrheit abgelehnt werden, gibt es mehrere.

Die Lösung, die sich am schnellsten aufdrängt, ist die Einführung einer Diktatur und die Durchführung der Reformen mit autoritären Methoden (die chilenische Variante von General Pinochet). In keinem der postkommunistischen Länder ist diese Methode bisher angewandt worden. Ursachen dafür gibt es mehrere: Marktwirtschaftliche Reformen sollten von den reichen Ländern des Westens und den internationalen Finanzinstitutionen unterstützt werden, und da ist es sehr zweifelhaft, ob diese eine autoritäre Regierung stützen würden, besonders dann, wenn diese gezwungen wäre, Repressionen gegen ihre aufmüpfige Gesellschaft anzuwenden.

Eine marktwirtschaftliche Diktatur müßte auch die Unterstützung jener Gruppen finden, die zwar in der Minderheit sind, aber trotzdem das Bewußtsein haben sollten, daß sich die Interessen der Regierung mit den ihren decken. Solche Gruppen, Unternehmer, Manager sind nicht nur zahlenmäßig schwach, sondern auch noch in sich gespalten. Die Kräfte, die fähig wären, ein autoritäres Regime einzuführen, sind aber an marktwirtschaftlichen Reformen nicht interessiert oder haben ein geringes Bewußtsein für die Notwendigkeit solcher Veränderungen.

Damit entsteht die Gefahr, daß undemokratische Regimes nicht im Namen marktwirtschaftlicher Reformen entstehen, sondern gegen sie. Dies ist in einigen postsowjetischen Republiken und in Rußland selbst nicht mehr zu übersehen.

Zbigniew Brzezinski meint, es sei möglich, den Menschen, die infolge der Einführung marktwirtschaftlicher Reformen in Not geraten sind, einen moralischen Ausgleich zu bieten. In Polen wären das Demokratie und die Integration in Westeuropa. Im Fall der Ukraine etwa könnten die prowestliche Option in der internationalen Politik und die Erhaltung der Unabhängigkeit einen Ausgleich für die Nation bieten, die ganz offensichtlich auf die Einführung der Marktwirtschaft nicht vorbereitet ist.

1989 und 1990 wäre sicher die Mehrheit der polnischen Politiker mit Brzezinski einverstanden gewesen. Heute nicht mehr. Demokratie und bürgerliche Freiheiten wurden von den postkommunistischen Gesellschaften schnell konsumiert und für selbstverständlich angesehen. Fünf Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus fürchtet niemand eine Wiedereinführung der Zensur oder Reiserestriktionen. Die Freiheit wird nicht mehr als etwas Besonderes geschätzt, sie ist Alltag geworden. Aber der marktwirtschaftliche Schock dauert noch an.

Außerdem haben nicht alle gelernt, die neuen Freiheiten zu nutzen. Untersuchungen zeigen, daß die Mehrheit der Polen gar keine oder nur wenige Bücher und Zeitungen liest, und wenn, dann solche, die kaum einen inhaltlichen Wert haben. Da kann man nicht erwarten, daß für diese Leute die Abschaffung der Zensur irgendwelche materiellen Kosten ausgleicht. In den postsowjetischen Republiken kann auch die Unabhängigkeit diese Funktion nicht erfüllen, weil diese dort nur von den politischen Eliten hochgehalten wird, während sie die Mehrheit mit Chaos und Korruption assoziiert.

Es gibt auch die Ansicht, man müsse zur Schaffung einer reformerischen Mehrheit mindestens eine reformfeindliche gesellschaftliche Gruppe zu sich herüberziehen. Dieser Ansicht vertrat zuletzt Tadeusz Syryjczyk (ehemaliger Industrieminister der Regierung Mazowiecki). Die Gruppe, die man am leichtesten auf seine Seite ziehen kann, sind die Bauern, die man natürlich für ihre eventuelle reformfreundliche Haltung bezahlen müßte, indem man die Landwirtschaft von den allgemeinen Marktregeln ausnimmt. Diese Linie wird zum Teil von der derzeitigen Regierung durchgezogen. Die Bauern haben im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen im letzten Jahr am meisten gewonnen. Trotzdem sind ihre Führer und Politiker dadurch reformfreundlicher geworden. Ihre Forderungen steigen ständig, und man kann sich nur schwer einen Kompromiß vorstellen, bei dem 25 Prozent des Budgets für die Landwirtschaft draufgehen, aber davon abgesehen marktwirtschaftliche Regeln gelten. Die Haltung der Bauernlobby zur Marktwirtschaft ist negativ, was allein schon durch ihre Ablehnung der Privatisierung selbst dort deutlich wird, wo diese gar nicht landwirtschaftliche Bereiche betrifft.

An einen Kompromiß der Reformer mit anderen, strukturell antimarktwirtschaftlich eingestellten Gruppen ist erst gar nicht zu denken: Die Renten im Verhältnis zu den Löhnen sind in Polen am höchsten in ganz Europa, noch weiter anheben kann man sie nicht. Den Arbeitern unrentabler Staatsbetriebe kann man nichts weiter anbieten als das soziale Netz. Die einzige Gruppe, die man auf die Seite des Marktes ziehen könnte, wäre ein Teil der heute vom Staatshaushalt bezahlten Beschäftigten, und zwar durch Teilprivatisierung ihrer Dienstleistungen, etwa im Gesundheitswesen. Am allgemeinen Kräfteverhältnis würde das nicht viel ändern, denn bereits heute ist ein Großteil der Intelligenz, die vom Staatshaushalt mehr schlecht als recht bezahlt wird, auf der Seite der Reformen.

Leszek Balcerowicz hat jüngst auf das Beispiel des peruanischen Präsidenten Fujimori hingewiesen, der die Wahlen mit populistischen Slogans gewann, aber anschließend eine radikale Gesundung der Wirtschaft durchführte, die ihm sogar den Beifall der Wähler sicherte. Einige Beobachter meinen, daß der populistische weißrussische Präsident Lukaschenko der nächste Politiker sein werde, der in Fujimoris Fußstapfen tritt.

Im übrigen hat Solidarność 1989 die Wahlen gewonnen, nicht etwa weil sie marktwirtschaftliche Reformen versprach, sondern weil sie ankündigte, sie werde darauf achten, daß die Kommunisten endlich einhalten, was sie früher den Menschen versprochen hatten.

Man darf auch nicht vergessen, daß es Leute gibt, die für die Regierung stimmen, egal was diese tut. 1991 stimmten selbst die grundsätzlich antimarktwirtschaftlich eingestellten Rentner und Bauern für die liberale Regierung Bielecki. Ein solches Ausspielen der Wähler kann Reformern weitere Asse verschaffen. Witold Gadomski

Entnommen aus „Zycie Warszawy“;

Übersetzung: Klaus Bachmann