„Längst in der Normalität angekommen“

■ Karel Dyba, seit 1992 Wirtschaftsminister der Tschechischen Republik, über niedrige Produktivität, die Notwendigkeit moderner Produktionsmethoden und Lohnentwicklung

taz: Herr Dyba, in der Erfolgsbilanz der tschechischen Regierung gibt es nur einen Schönheitsfehler: Auch im vierten Jahr der ökonomischen Transformation zeichnet sich kein größeres Wachstum der Industrieproduktion ab.

Karel Dyba: Unsere Kritiker haben uns jahrelang vorgeworfen, die Industrie des Landes würde zusammenbrechen. Doch bei uns hat sich nur vollzogen, was in allen anderen entwickelten Ländern des Westens längst Normalität ist. Der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt hat sich verringert, dafür ist der Anteil der Dienstleistungen stark angestiegen. Es ist uns gelungen, die Stahlproduktion zu reduzieren, Betriebe ohne Perspektiven mußten schließen. Was gibt es daran zu kritisieren?

Aber Ihre Kritiker sagen auch, daß die Betriebe noch mit den Maschinen wirtschaften, die vor der Revolution angeschafft worden sind. Sie sagen, es finden keine neuen Investitionen statt ...

Das ist Blödsinn. Der Anteil der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt ist höher als in Polen und in Ungarn. Er beträgt rund 25 Prozent. Beim Import liegt der Anteil der neuen Maschinen bei fast 40 Prozent. Natürlich sind darin auch neue Autos enthalten, aber ihr Anteil ist zu vernachlässigen.

Der tschechische Industrie- und Handelsminister Vladímir Dlouhý sagt, daß die Tschechen kein Geld mehr haben, um sich eine neue Waschmaschine zu kaufen.

Die Preise für Konsumgüter sind seit der Revolution um 120 Prozent gestiegen, die Löhne haben sich etwa verdoppelt. Das heißt zum einen, daß die Differenz von 20 Prozent von den Betrieben für Investitionen genutzt werden kann. Zum anderen zeigt es aber auch, daß der Unterschied nicht so groß ist, daß die Menschen sich nichts mehr leisten können. Sie müssen eben etwas sparen.

Im Vergleich mit westeuropäischen Staaten liegt die Produktivität der tschechischen Industrie immer noch bei 17 Prozent.

Ich bin der Ansicht, daß die Statistiken die Höhe der Produktion nicht richtig wiedergeben, da die Privatunternehmen zuwenig berücksichtigt werden. Wenn aber die Produktion nicht richtig gemessen wird, kann man auch die Produktivität nicht richtig angeben. Aber auch wenn ich die offiziellen Statistiken zugrunde lege, zeigt sich, daß wir 1993 ein Nullwachstum des Bruttoinlandsprodukts hatten, die Zahl der Beschäftigten jedoch gefallen ist. Das heißt, die Produktivität muß gestiegen sein, ich schätze um drei Prozent. Das ist ein Durchschnittswert, bei einigen Betrieben kann sie auch um zehn Prozent gewachsen sein. Die niedrige Produktivität ist keine Gefahr für unsere Wirtschaft. Schlecht wäre es, wenn die Löhne schneller wachsen würden als die Produktivität. Denn diese Betriebe können dann im internationalen Wettbewerb nicht mehr mithalten. Und dann muß man sie schließen.

Also weiter Lohnregulierung?

Bei uns gibt es keine Lohnregulierung, die Betriebe können ihren Beschäftigten zahlen, was sie wollen. Aber es muß der Produktivität entsprechen. Wenn sie in diesem Jahr 20 Prozent mehr produzieren als 1993, können sie die Löhne um 20 Prozent erhöhen.

Um die Produktivität zu steigern, sind auch modernere Produktionsmethoden notwendig. Doch die Zahl der Beschäftigten in Forschung und Wissenschaft ist seit 1989 um 55.000 gefallen.

Das macht überhaupt nichts. Ich komme selbst aus der Wissenschaft und weiß, wie viele Leute dort überflüssig sind. Die wirklich fähigen Leute haben den Wissenschaftsbetrieb längst verlassen und haben ihre eigenen Firmen gegründet, die anderen Betrieben ihre Forschungsergebnisse verkaufen.

Es gibt aber viele Betriebe, in denen gut ausgebildete Leute fehlen, zum Beispiel weil diese lieber Zigaretten verkaufen ...

Ja, besonders in Prag fehlen gute Leute. Doch die Regierung kann hier nicht eingreifen. Wir müssen einfach einige Jahre warten, bis die in der Ausbildung stehenden ins Berufsleben eintreten.

In wenigen Wochen ist die zweite Welle der Kuponprivatisierung abgeschlossen. Ist die Periode der ökonomischen Transformation in Tschechien damit beendet?

Die Periode der schnellen Veränderungen ist lange zu Ende. Jetzt bleibt noch die Kuponprivatisierung, danach haben wir keine weiteren dramatischen Reformen vor uns. In diesem Sinn sind wir längst in der Normalität angekommen. Interview: Sabine Herre