Weststrom aus Oststeckdosen

Westdeutsche Energieriesen kaufen Veag und Laubag / Treuhand jubelt über Milliardeneinnahmen / Stadtwerke als Konkurrenten  ■ Aus Berlin Annette Jensen

Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel hatte Feierlichkeit angeordnet. Zusammen mit mehr als 20 vorwiegend aus der westdeutschen Stromwirtschaft stammenden Herren nahm sie im großen Saal vor drei großen Blumenbouquets Platz. Nach und nach setzten sie ihre Unterschriften unter den in einen dunkelroten Einband gefaßten Vertrag: die Privatisierung der Vereinigten Energiewerke, Veag, und ihres Hauptlieferanten, der Lausitzer Braunkohle, Laubag. Damit ist seit gestern der größte Verkauf der Berliner Behörde unter Dach und Fach.

Die Veag, die 1993 in ganz Ostdeutschland für 6,4 Milliarden Mark Strom verkaufte, geht zu 75 Prozent an die RWE, die Bayernwerk AG und PreussenElektra; das restliche Viertel übernehmen fünf kleinere westdeutsche Stromunternehmen. Sechs Milliarden Mark sollen dafür in die Kasse der Treuhand fließen. Außerdem versprachen die Käufer Investitionen von über 23 Milliarden Mark. Den weitaus größten Teil dieses Geldes wollen sie allerdings erst noch in Ostdeutschland verdienen. „Die haben nicht mehr mitgebracht als die Blumen für den Veag-Vorstand“, moniert Steffen Reiche, Vorsitzender der brandenburgischen SPD, in einem Interview mit dem Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg.

Die brandenburgische Laubag, die im letzten Jahr nach einer Ausgliederung unwirtschaftlicher Teile 4,8 Millionen Tonnen Braunkohlebriketts absetzte und damit 3,4 Milliarden Mark einnahm, geht an ein fast identisches Konsortium unter der Führung der RWE- Tochter Rheinbraun. Etwa 8.000 Leute sollen im Braunkohleabbau langfristig Arbeit finden; bei der Veag sind 6.700 Jobs angepeilt. In alten Zeiten standen etwa 80.000 Menschen auf den Gehaltslisten der beiden Betriebe.

Mit der gestrigen Vertragsunterzeichnung gehen vierjährige Verhandlungen über die Zukunft der Ex-DDR-Stromwirtschaft zu Ende. Dabei waren die westdeutschen Energieriesen mit die ersten gewesen, die in Ostdeutschland ein lukratives Handlungsfeld entdeckt hatten. Schon im August 1990 schlossen sie mit der Treuhand und der DDR-Regierung den „Stromvertrag“. Vereinbart wurde, daß die DDR-Energiewirtschaft als Block privatisiert werden sollte. Alte DDR-Funktionäre wollten auf diese Weise die Braunkohleförderung absichern – fast 90 Prozent des Stroms in Ostdeutschland werden damit erzeugt.

Die westdeutschen Interessenten sahen durch den Vertrag gesichert, daß Kommunen ihnen nicht durch den Bau kleiner Kraftwerke einen Teil des Marktes abluchsen könnten. Sie alle störte nicht, daß der Stromvertrag dem kurz vorher verabschiedeten Kommunalvermögensgesetz widersprach. Denn wenig später wurde im Einigungsvertrag die Gesetzeslage kurzerhand dem Vertrag angepaßt.

Erst die Klage von über 160 Gemeinden vorm Bundesverfassungsgericht machte den schönen Plan zunichte. Bei einem Vergleich erreichten die Gemeinden, daß die Energieversorger ihnen Kraftwerke und Stromnetze kostenlos übergeben müssen, wenn sie eigene Stadtwerke gründen wollen. 30 Prozent ihres Stroms sollen sie selbst erzeugen dürfen und die restlichen 70 Prozent von den Regionalversorgern zukaufen. Dafür mußten sie auf die Beteiligungen an den Regionalversorgungsunternehmen verzichten, die den westdeutschen Konzernen gehören. Die Entscheidung, welche Gemeinde den begehrten Paragraph- 5-Schein nach dem Energiewirtschaftsgesetz bekommt, liegt bei den Ländern.

Inzwischen haben über 70 Kommunen die Erlaubnis bekommen. Während die Thüringer Behörden sehr großzügig Verfahren und fast alle Anträge genehmigt haben, ist die Landesregierung in Brandenburg ausgesprochen knauserig. Und das liegt wiederum an der Braunkohle: Damit in der brandenburgischen Laubag nicht noch mehr Arbeitsplätze verlorengehen, werden in Potsdam möglichst wenig kommunale Konkurrenten zugelassen. Denn im Gegensatz zu den westdeutschen Energieriesen setzen die Stadtwerke auf moderne Kraft-Wärme-Kopplung und Gaskraftwerke.

Experten wie Felix Christian Matthes vom Ökoinstitut halten es dennoch nicht für unrealistisch, daß in Ostdeutschland vielerorts bis zu 50 Prozent der Grundstromversorgung von Stadtwerken erzeugt werden könnten. Der Bundesverfassungsgerichtskompromiß ist nämlich sehr weich formuliert, so daß viele Stadtwerksdirektoren Anlagen geplant haben, die weit größer sind als zur Erzeugung von 30 Prozent der Strombedarfs notwendig. Dennoch ist der Hauptstrommarkt im Osten in der Hand der westdeutschen Giganten. Der Norden wird vorwiegend von PreussenElektra versorgt, die RWE haben die Mitte besetzt, und im Süden herrschen die Bayernwerke. HEW, Bewag, EVS und Badenwerke haben kleinere Kuchenstücke abbekommen.