„Erst wählen, dann zahlen“

Haushaltsdebatte im Bundestag: Der Wahlkampf läßt grüßen / Scharfe Angriffe von Schatten-Finanzminister Oskar Lafontaine auf Finanzminister Theo Waigel  ■ Aus Bonn Erwin Single

Die Botschaft ist klar: „Unser Land braucht den politischen Wechsel, weil die Bundesregierung die Verantwortung für die höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik trägt.“ Mit scharfen Angriffen hat Oskar Lafontaine zu Beginn der zweitägigen Debatte um den Bundeshaushalt 1995 der Regierung kräftig eingeheizt. Die höchste Staatsverschuldung, die höchste Steuer- und Abgabenlast, die größte Wohnungsnot, sinkende Realeinkommen, die ungerechteste Verteilung von Einkommen und Vermögen – „bei dieser Bilanz der Negativrekorde“, so der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Scharpings Schatten-Finanzminister, „wäre jeder ordentliche Kaufmann längst zum Bonner Amtsgericht gegangen und hätte Konkurs angemeldet“.

Da sich Haushaltsdebatten erfahrungsgemäß zur Generalabrechnung mit dem politischen Gegner bestens eignen, setzte Lafontaine mit Blick auf die „pharisäerhafte“ Rote-Socken-Kampagne der Union bissig noch einen Seitenhieb drauf: CDU und FDP hätten sich in schamloser Weise die alten Kader der DDR-Blockparteien einverleibt; die Parteifreunde trügen Mitverantwortung für Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl.

Der Wahlkampf hat nicht nur die Aussprache im Bundestag, sondern auch das von Theo Waigel (CSU) vorgelegte Rechenwerk geprägt, der Ausgaben in Höhe von 485 Milliarden und eine Neuverschuldung von 85 Milliarden Mark vorsieht. Zumal der Haushalt weniger hält, als der Kassenwart verspricht. Nach der Wahl, wenn das neugewählte Kabinett den Haushalt noch einmal in den Bundestag einbringen muß, sieht die Welt wahrscheinlich schon ganz anders aus. Denn heute steht die öffentliche Hand mit rund 1,6 Billionen Mark in der Kreide, allein die Zinsbelastungen (1995: 92,6 Mrd. DM), rechnete Lafontaine auf, fresse jede vierte Mark der Steuereinnahmen auf. Die SPD-Kritik an der hohen Staatsverschuldung wies Waigel scharf zurück: Er sei nicht bereit, sich die Schulden der kommunistischen Machthaber, früherer SPD-Regierungen oder der Länder und Gemeinden anhängen zu lassen. Allein die Erblast des SED-Staates bezifferte Waigel auf 700 Milliarden Mark.

Doch von den selbst attestierten haushaltpolitischen Spar- und Konsolidierungserfolgen ist der Finanzminister noch weit entfernt. Auch taugt der Etatentwurf im Hinblick auf die mittelfristige Finanzplanung wenig. Gut 40 Milliarden an außerordentlichen Erträgen aus Privatisierungserlösen (Lufthansa, Ex-DDR-Staatsbank) und einer Zahlungsumstellung bei der Mineralölsteuer hat Waigel fest eingeplant, die jedoch nur einmal anfallen werden. Auf einige Luftbuchungen hatte schon Graf Lambsdorff hingewiesen und geraten, die Löcher doch am besten mit einem Lottogewinn zu stopfen. Das alles bietet Stoff für neue Steuerspekulationen, die Gegenspieler Lafontaine rigoros ausnutzte: Schon einmal habe die Kohl-Regierung die Öffentlichkeit schamlos belogen und nach der Wahl Steuererhöhungen von 116 Milliarden Mark pro Jahr beschlossen. Bei Anblick einer Telefonzelle sollten die Wähler deshalb immer an den Kanzler denken: „Bei der Telefonzelle heißt es: Erst zahlen, dann wählen. Bei Helmut Kohl: Erst wählen, dann zahlen.“