Vom Turnschuh zum roten Tangopumps

■ „Oleanna“ von David Mamet – laut „Theater heute“ das beste Stück des Jahres

Carol hat die Karnickelstarre. Dann zucken ihre Hände fahrig, große Gesten verenden hilflos, schließlich stottert sie. Carol möchte am liebsten in den Boden versinken. Sie ist in der Sprechstunde ihres Dozenten, bei dem sie eine liederliche Arbeit abgeliefert hat. Eine unangenehme Situation.

Carols Dozent John zeigt sich bemüht verständnisvoll, gerade deswegen aber ist er um so überheblicher. Im Augenblick interessiert ihn eigentlich nur zweierlei: seine bevorstehende Beförderung zum Professor auf Lebenszeit und das Haus, das er gerade kauft. Ansonsten ist er ein blasser Möchtegern-Liberaler, der in einem Billigdesigner-Chromstudio residiert. Später, so will es das Stück, wird der Haus-Traum ein für allemal ausgeträumt sein. John (Mathis Schrader) endet als psychisches Wrack und ist dabei noch immer so blaß als wie zuvor (größtenteils leider auch schauspielerisch).

Denn wegen einer tröstend gemeinten Berührung im ersten Akt verklagt ihn die Studentin (Saskia von Winterfeld) wegen versuchter Vergewaltigung und fordert im zweiten Akt auch intellektuelle Genugtuung, indem sie, im Verein mit einer Studentengruppe, die vom Professor veröffentlichten Lehrbücher auf den Index stellen lassen will. Dazu verlangt sie seine Einwilligung.

Das „Hedda Krause Theater“ („Hedda Gabler“ und das Arbeiterkabarett der 50er Jahre, „Krupp und Krause“, im Namen vereinigt) spielt das pc-Stück „Oleanna“ von David Mamet im Ratibor Theater, womit das vertrackte Stück um zwei gleichermaßen zwiespältige Figuren innerhalb eines halben Jahres bereits zum dritten Mal in Berlin zu sehen ist.

Die zum Theatertreffen geladenene Züricher Inszenierung von Jens-Daniel Herzog und die Johanna Schalls am Deutschen Theater zeigten, mit kleinen Variationen, anfangs eine verschüchterte, aber verzweifelte Kuscherin, die alles notiert, um ihrem Prof zu gefallen. In beiden Inszenierungen wird aus der Unterwürfigkeit eine rachsüchtige Hysterie. Die Befreiung Carols aus der wohlmeinenden paternalen Haltung wird dadurch denunziert, daß Carol als eiserne Verkörperung einer (vermeintlich) feministischen Bewegung gezeigt wird, die ihre Emanzipation mit gesinnungsterroristischen Krallen verteidigt.

Aber: Der Ton macht die Musik, das Stück selbst macht Carol noch nicht zur Fatal-Furie, was das Hedda Krause Theater zeigt. Regisseur Andreas Roos, eigentlich ausgebildeter Ingenieur für Theater- und Veranstaltungstechnik, zeichnet eine Carol, die, anfangs hysterisch und wirr, bald immer ruhiger wird. Äußerlich macht sich der Wandel am niedlichen Leinenkleidchen fest, das einem kühlen, weißen Leinenanzug weicht; die Turnschuhe mausern sich zu roten Tangopumps.

Saskia von Winterfeld agiert anfangs exaltiert: Sie rollt mit den Augen, knetet ihre Finger, nestelt an Kleiderknöpfen und wirft sich vor John auf den Boden. Das ist zwar hart an der Peinlichkeit, aber bühnentechnisch nicht ungeschickt: Da John eine Stufe tiefer im Sessel sitzt, blickt sie ihm auf Knien direkt und bewundernd in die Augen. Wie zufällig gibt ihr geschlitztes Kleid den Blick auf ihren Oberschenkel frei – eine Erotisierung der Figur, die zunächst befremdet. Aber die bewundernde Hörigkeit wird bald aufsässig, macht schließlich kritischer Vernunft Platz: Als John Carol dozierend den Rücken zukehrt, zieht sie die Schuhe aus, steigt auf den Tisch und zeichnet die Umrisse ihrer Füße nach, sucht den eigenen Weg.

In dieser Inszenierung geht es nicht darum, die Grenzen einer Vergewaltigung zu definieren, sondern vor allem auch um Klassengegensätze und den Wert der Bildung: John kann das, als Arrivierter, lächerlich machen, während Carol, aus sozial schlechtergestelltem Milieu, hart darum kämpfen muß. Auch das zeigt von Winterfeld hier: Eine Carol, die sich neben der von Ulrike Krumbiegel am Deutschen Theater sehen lassen kann. Petra Brändle

Weitere Aufführungen vom 9.–11., 17.,18. und 23.–25.9. im Ratibor Theater, Cuvrystraße 20, Kreuzberg sowie vom 13.–15.9. im Schlot, Kastanienallee 29, Prenzlauer Berg und vom 28.–30.9. im Acud, Veteranenstraße 21, Mitte