Kämpfen für die Tradition der guten Stadt

■ Senatsbaudirektor Hans Stimmann: Mit Kleinteiligkeit und Nutzungsmischung die Profitinteressen der Investoren ausbremsen / Beharren auf den traditionellen Stadtgrundriß als „Zwangsjacke“ moderner Architektur

In der taz haben der Gründer des Frankfurter Architekturmuseums, der kürzlich unter Protest aus Berlin weggegangene Architekt Daniel Libeskind und die französische Stadtplanerin Christa Aue deutliche Kritik an den Ergebnissen der Stadterneuerung geübt. Heinrich Klotz sprach von einer Architektur der nationalen Überheblichkeit und der Rehabilitierung der konservativen Moderne der NS-Architektur. Christa Aue beklagte die Eindimensionalität einer „preußischen“ Architektursprache, bei der Nichtkonformes keinen Platz hat. Zielscheibe der Kritik ist Senatsbaudirektor Dr. Hans Stimmann (53). Aber auch den Investoren, die auf Profitverwertung zielen, ist das oft als ruppig gescholtene SPD- Mitglied ein stetes Ärgernis.

taz: Je mehr Baukräne sich drehen, um so stärker wird die Kritik an Ihnen. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Hans Stimmann: Ich bin mit dem Ergebnis nicht zufrieden – aber trotzdem ist die Kritik absoluter Unsinn. In Berlin arbeitet die Creme der Architekten aus England, Frankreich, Deutschland, Japan und USA. Wo bitte baut Nouvel in Deutschland ein Haus?, wo Izusaki? Nur in Berlin. Weder in Mailand, in London oder Paris, und erst recht nicht in Hamburg und Stuttgart gibt es einen solchen bunten Strauß von Architekten.

Es gibt also keine Ausgrenzung, und es gibt nicht das von auswärtigen Architekten beklagte Netzwerk der Berliner Beziehungen, das dafür sorgt, daß immer die selben Architekten Aufträge erhalten?

Es gibt keine Ausgrenzung, es gibt vielmehr eine irrsinnige Internationalität wie in keiner anderen Stadt. Wir sind gegen jede Engstirnigkeit. Hier baut jeder, und das ist ein Teil unser Berliner Identität. Aber wir sagen auch, daß Stadt keine Ansammlung von Kunstwerken ist. In einer Stadt müssen sich die Häuser und die Menschen aufeinander beziehen. Jede Stadt braucht aber auch eine regionale Tradition. Eine Stadt, die nur fremde Leute einfliegt, wird keine gute Stadt. Die Idee, die eigenen Traditionen und einen wohlverstandenen Regionalismus zu kultivieren, die vermisse ich ein wenig in Berlin. Das hat auch damit zu tun, daß wir unser eigenes Bürgertum verdrängt, vernichtet, vertrieben haben. Wenn es hier noch dieses Berliner Bürgertum als Bauherrenschaft gäbe, dann gäbe es diese Diskussion nicht. Deswegen ist diese Mischung aus Internationalität und regionaler Architektur notwendig und wichtig. Ohne eine lokale Architekturtradition bekommt die Stadt keine Identität. Das versuche ich zu fördern.

Man wirft Ihnen vor, Sie engten die Architekten so ein, daß die Häuser sich alle gleichen.

Die sehen doch nicht gleich aus. Wenn man die Friedrichstadtpassagen nimmt – die Häuser von Ungers oder von Nouvel sind doch zwei völlig unterschiedliche Häuser. Nicht von Außen und erst recht nicht von Innen. Was sich gleicht, ist die Aufgabenstellung, Büro- und Geschäftshäuser zu bauen, und daß jemand, der in einer Straße eine Parzelle bebaut, Restriktion in seinem Entwurf hat, die er bei einer offenen Bebauung nicht hat. Das ist die Konsequenz eines Insistierens auf die Qualität der europäischen Stadt mit der Beachtung von Nachbarschaft. Das ist natürlich ein richtiger Bruch mit all den Architekten, die in der Tradition der städtebaulichen Moderne seit 1920 stehen und erst recht derjenigen, die wie Rem Koolhaas auf das Fragment als Leitbild setzen.

Geht es um verschiedene Auffassungen von Stadt?

Ja. Die Entwürfe der architektonischen Moderne lösen das Haus aus dem städtischen Kontext. Ich bin gegen diese fragmentierte Stadt und habe mich entschieden für die Weiterentwicklung der europäischen Stadt. Ich kenne keine Stadt, die in der Tradition der Moderne entworfen wurde, die wirklich besser ist, als das, was zwei Jahrtausende lang städtebaulich unumstritten war.

Das hat Konsequenzen, die die Leute unglaublich frustrieren. Jemand, der sich auf das Nachbargebäude einlassen muß, und auf Höhenbegrenzungen, und nur noch eine Straßenfassade zur Gestaltung hat und nicht ein Haus mit vier Ansichten, fühlt sich geistig enteignet. Das ist eine Zwangsjacke. Wenn Daniel Libeskind in der Baulücke ein Bürohaus bauen müßte, dann sind die Möglichkeiten, sich auszudrücken, nie so wahnsinnig groß. Gegen diese Beschränkung wird verständlicherweise opponiert ...

Libeskind ist weggegangen mit der Kritik, er werde hier nicht zu Wettbewerben eingeladen.

Libeskind wurde zu drei großen städtebaulichen Wettbewerben eingeladen. Er ist auch nicht weggegangen, sondern hat einen ehrenvollen Ruf als Hochschullehrer nach Los Angeles erhalten. Sein Problem ist, daß sein ganz spezifischer Architekturansatz nur mit einem anderen städtebaulichen Konzept kompatibel ist, oder mit Kulturbauten realisierbar ist. Es ist doch kein Investor oder eine Wohnungsbaugesellschaft gehindert, ihn zu einem Entwurf aufzufordern. Aber er ist ohne unseren Einfluß bisher nicht eingeladen worden. Das ist doch nicht unser Problem. Das hat wahrscheinlich was zu tun mit dem Kunstanspruch und seiner Architektur.

Nach welchem Bild soll das neue Berlin entstehen?

Ich denke nicht von der Architektur her. Ich denke zuerst von der Stadtstruktur her: Was ist eine vernünftige Stadt? Eine Stadt, die nicht willkürlich bricht mit ihrer Geschichte, sondern ihre Erfahrungen aufnimmt und weiterentwickelt. Zur Struktur gehört der Stadtgrundriß, die Mischung der Funktionen, die relative Kleinteiligkeit, aber auch die generelle Höhenbegrenzung. In diesem Beharren auf diese Kultur steckt eine lange Diskussion über Denkmalschutz und Stadterneuerung. Das ist auch eine linke Debatte. Die Linke hat seit den siebziger Jahren sich eingesetzt für das Erinnern und die behutsame Stadterneuerung. Die kritische Rekonstruktion als unumstrittenes städtebauliches Programm ist so gesehen ein linkes Programm und die Gegner der behutsamen Stadterneuerung waren betonköpfigen Wohungsbauunternehmen und private Investoren. Was wir heute in Berlin machen, ist doch kein rechtes Programm. Es setzt explizit auf staatliche Intervention, um Ordnung in das Baugeschehen zu bringen: die Begrenzung der Ausnutzung, das Insistieren auf die Öffentlichkeit und gegen die Privatisierung von Straßen. Deswegen bin ich gegen malls. Dieses Element der amerikanischen Stadt ist nur scheinbar fortschrittlich.

Sie betonen den Erhalt des Stadtgrundrisses, aber gebaut werden die großen Blöcke in der Friedrichstraße und am Potsdamer Platz.

Das ist natürlich nicht das, was man erreichen möchte. Mit dem Ergebnis bin ich deswegen auch nicht zufrieden. Wir wollen eine Begrenzung der Ausnutzung durch Höhenlimitierung und damit eine ökonomische Begrenzung. Zugleich geht es um die Nutzungsmischung und Kleinteiligkeit. Aber das kann man nur begrenzt steuern. Niemand kann verhindern, daß Unternehmen große Grundstücke zusammenkaufen. Bei diesem Konzentrationsprozeß leistet die parzellierte Stadt einen ökonomischen Widerstand. Auch die Alteigentümer, die an ihrer Parzelle festhalten, sind in diesem Sinne Widerstandskämpfer gegen die Blockkonzentration. Es ist für mich nun die Frage, wie wir das Auflösen der Parzellen verlangsamen können.

Kritiker werfen ihnen gerade vor, diese Großentwürfe zu unterstützen. Es gibt an der Friedrichstraße keine Parzelle, es gibt keine lebendige Mischung wie am Kudamm, es gibt die malls, die das Leben nach innen ziehen.

Ich habe doch nicht die Parzellen beseitigt, das hat der Sozialismus gemacht. Wir müssen vielmehr mit einem Zustand kreativ umgehen, der durch Politik unter verschiedenen politischen Vorzeichen entstanden ist, durch Vertreibung in der NS-Zeit oder durch Enteignungen nach 1945.

Nehmen wir die Friedrichstadtpassagen, mit denen ich erst im Ergebnis konfrontiert wurde, als ich nach Berlin kam. Die drei Blöcke der Passagen waren in der DDR komplett enteigent, da gab es keine Parzellen mehr. Dann wurde das selbe Programm auf privatwirtschaftliche Weise fortgeführt und erst später nachgebessert.

Wie paßt zur Rekonstruktion der Stadt die Abrißwelle?

Ich bin strikt gegen jeden Abriß von Häusern, die vor 1945 gebaut wurden. Es geht um die Erhaltung der kümmerlichen Reste, die es überhaupt noch gibt. Ich sage jedem Investor, er sei ein Kulturbanause, wenn er das, was noch da ist, abreißen will. Das gilt auch, wenn es kein eingetragenes Denkmal ist. Unsere Verfassung garantiert aber jedem, ein Haus abreißen zu lassen. Das können sie nur durch Denkmalschutz oder Erhaltungssatzung verhindern – wenn es beides nicht gibt, kann man nichts dagegen machen. Darüber entscheidet nicht die Bauverwaltung, sondern Stadtentwicklungssenator Hassemer von der CDU.

Am Alexanderplatz hat sich ein Entwurf explizit mit dem Erhalt der vorhandenen Altbausubstanz auseinandergesetzt, hat aber nicht gewonnen. Auch Sie haben klargemacht, daß ihr Favorit Kolhoff mit seinen Abrißplänen war.

Sie können in einen Wettbewerb mit meiner Position hineingehen, die Altbausubstanz zu erhalten, soweit das machbar ist. Aber die Ausschreibung hat das nicht verlangt. Diesen städtebaulichen Wettbewerb hat Senator Hassemer durchgeführt, die Bauverwaltung war nur in der Jury vertreten. Wenn die Vorgaben andere sind, können wir wenig ausrichten.

Viele halten sie für den mächtigsten Mann Berlins, und sie stellen sich hier als Opfer der Investoren dar, gescheitert an den Profitinteressen – beim Abriß und bei einer Nutzungsstruktur, bei der nur noch zwanzig Prozent Wohnanteil herausgekommen ist?

Ich fühle mich nicht gescheitert. Im Gegenteil. Ihre Darstellung ist auch falsch. Wir haben zwanzig Prozent Wohnen im Kerngebiet Friedrichstraße durchgesetzt – also dort, wo vom Flächennutzungsplan Hotels, Warenhäuser und Geschäftshäuser vorgesehen sind. Das gibt es in keiner deutschen Stadt. Die Kritiker, die das für zu wenig halten, die kennen die Praxis anderer Großstädte nicht. Zwanzig Prozent Wohnen ist zugegebenermaßen zu wenig. Aber das Thema Wohnen und Mischung ist doch wenigstens ansatzweise da. Es gibt keine Stadt auf der Welt, die versucht, innerhalb der Geschäfts-City neues Wohnen zu verankern. Da muß man doch erst mal anerkennen und nicht sagen, das ist gar nichts.

Die Architekturkritik bemängelt zu Recht die Entmischung der Innenstädte. Wir arbeiten bewußt gegen diesen Trend, oft mit unzureichenden Mitteln. Sie können Wohnen nämlich nur durchsetzen, wenn sie einen Bebauungsplan haben – in der Friedrichstraße gibt es keinen Bebauungsplan. Wenn sie ein Grundstück in einem Kerngebiet haben, dann kann ihnen niemand vorschreiben, dort Wohnungen zu bauen. Das können wir nur deswegen durchsetzen, weil wir für die Grundstücksvergabe und die Genehmigungen einen sehr spezifischen Hebel haben.

Wieviel Wohnen wollen Sie?

Zwanzig Prozent Wohnen ist zu wenig – das schafft nicht genug städtisches Ambiente. Deswegen haben wir reagiert und am Alexanderplatz dreißig Prozent Wohnen durchgesetzt. Hinterher zwar, weil wir beim Wettbewerb Fehler gemacht haben. Das war in der Tat ein Lernprozeß. Im Stadtquartier Lehrter Bahnhof fordern wir jetzt dreißig Prozent Wohnen. Der Schriftsteller Peter Schneider findet das zu wenig, der will über fünfzig Prozent. Das ist falsch. Denn ein hoher Wohnanteil ergibt noch keine Stadt. Das kann man doch in der Ex-DDR überall sehen. In einer Innenstadt, die gleichermaßen lebendig ist und großstädtisches Ambiente besitzen soll, kann man den Wohnanteil kaum über dreißig bis fünfunddreißig Prozent drücken. Wohnbau hat nämlich auch baurechtliche Konsequenzen und verlangt andere Abstände. Wenn man den Wohnanteil auf fünfzig Prozent steigert, wird die Stadt entdichtet und provinziell vorstädtisch. In der Innenstadt muß eine Dichte, eine Kompaktheit da sein, die großstädtisches Ambiente produziert.

Gespräch: Rolf Lautenschläger und Gerd Nowakowski