Mit Marx am kalten Büfett

■ Zum Abschied ein Blick zurück in die Historie: In Berlin ging eine Konferenz über Nachkriegskulturpolitik der Alliierten 1945-1949 in eloquenter Schönheit zu Ende

Als die Westalliierten im Sommer 1945 ins zerstörte Berlin einzogen, organisierten sie erst einmal eine Konferenz. In Potsdam einigten sich Churchill und Truman mit Stalin bekanntermaßen auf die gemeinsamen Ziele ihrer Deutschlandpolitik. Den Berliner Kulturfrühling hatten die Sowjets zu der Zeit bereits anbrechen lassen: Schon acht Tage nach der deutschen Kapitulation durfte hier wieder Theater gespielt werden. Einen Monat später gab es mit der Kammer der Kunstschaffenden eine Anlaufstelle für alle überlebenspraktischen Fragen. Künstler erhielten Lebensmittelkarten für Schwerstarbeiter, eine Ausstellung mit Werken von Beckmann, Kirchner und Pechstein wurde im Juli eröffnet, und noch bevor die Amerikaner und Engländer einen Stiefel in Berlin hatten, erschienen bereits drei sowjetisch lizenzierte Zeitungen.

Keine Frage: Wer im Nachkriegsberlin kulturell einen Namen hatte, wird sich an die fürsorglichen und hochgebildeten sowjetischen Kulturoffiziere gerne erinnert haben. Zuweilen bekam man bei Empfängen auf dem Weg zum kalten Büfett zwar auch Marx' Werke unter den Arm geklemmt, wie beispielsweise der Theaterkritiker Friedrich Luft einmal berichtete, aber die waren höchstens beim Kaviarverzehr hinderlich. Was Künstler und Intellektuelle betraf, war die Liebe der Sowjets groß und die Entnazifizierungspraxis recht lax. Um so konsequenter wurde bald darauf die Durchsetzung der Stalinschen Kunstdoktrin, des sozialistischen Realismus, betrieben.

Als die Westalliierten im Sommer 1994 aus Berlin wieder abzogen, organisierten sie zum Abschluß eine Konferenz. Kulturoffiziere aller vier Mächte erinnerten sich an die vermeintliche „Stunde Null“, und verständigten sich darauf, daß ihre einstige Mission erfolgreich war – sonst säßen sie ja nicht beisammen. Das war Dienstag abend, am Ende der zweitägigen Vortragsreihe zum Thema der Nachkriegskulturpolitik in Berlin zwischen 1945 und 1949. Eingeladen hatten das Institut Français und das deutsch-französische Forschungszentrum für Sozialwissenschaften in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum.

Die ambivalente Rolle der sowjetischen Kulturoffiziere war ein Thema der Tagung – das spannendste, weil am wenigsten erforschte. Das heikelste auch, denn während die internationalen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen westalliierte Aktivitäten schlicht referieren konnten, ließ es sich schlecht vermeiden, etwa darauf hinzuweisen, daß viele Redakteure der sowjetamtlichen Täglichen Rundschau ins Gefängnis wanderten. Doch die Hintergründe konnten in der Kürze der Vortragszeit nicht erörtert werden. Und eine kritische Hinterfragung des westlichen Kulturverständnisses stand erst gar nicht auf dem Programm.

Statt dessen waren im Hauptteil dieser „Internationalen Konferenz“ Referate zu kulturgeschichtlichen Einzeldisziplinen zu hören, die manchmal lediglich den Forschungsstand der Standardliteratur wiederholten. Zu themenübergreifenden Reflexionen blieb kaum Zeit, und da tagsüber ja erwartungsgemäß wenig Publikum erscheinen konnte, tauschten die Fachleute ihre Grundlageninformationen eben untereinander aus. Natürlich war ein Bericht wie der von Klaus Anschütz über Pasteur Casalis, einen französischen Militärgeistlichen, der die Aufgabe hatte, Heß, von Schirach und Konsorten seelisch beizustehen, überaus interessant – auch er wird aber irgendwann nachzulesen sein.

Die Zeitzeugen und -aktivisten indessen wird man wohl nie wieder so beisammen haben. Alexej Debolski hatte an der Konferenz teilgenommen, ein Redakteur genau der Täglichen Rundschau. Und Melvin Lasky, der Herausgeber des Monats und Mitbegründer des antistalinistischen „Kongresses für die Freiheit der Kultur“ saß beim abschließenden Veteranentreff ebenfalls auf dem Podium, wo er seine Haltung der 40er Jahre bekräftigte: „Ich habe die Tägliche Rundschau gelesen, aber außer dem Datum nichts Wahres darin gefunden. Und selbst das Datum habe ich sicherheitshalber noch einmal überprüft.“

Endlich Zeit für offene Konfrontation? Nein. Die so lange nicht miteinander sprechen wollten und konnten, sollen das jetzt auch nicht mehr. Nach so vielen Jahrzehnten haben die Deutschen die ideologischen Kämpfe, die ihre doppelte Entwicklung geprägt haben, satt. Christoph Stölzl vom Deutschen Historischen Museum moderierte weiter im Dreifragenquiz: Aus welchen Motiven kamen Sie nach Berlin? Was war Ihr schönstes, was Ihr übelstes Erlebnis mit Deutschen? Betrachten Sie Ihre Arbeit als erfolgreich? Und die anderen Fachleute und Kulturpolitiker von einst, Henry C. Alter, George Clare, Trevor Davies, Gilbert Gehring und Arsenij Gulyga, antworteten amüsant und eloquent. Ein Abschied in Schönheit. Und alle Fragen offen. Petra Kohse