Wir sprechen uns noch, Freunde ...

Ex-DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel (CDU) im Brandenburger Wahlkampf: Er verspottet Scharping, und geißelt Kohl, er droht dem eigenen Kandidaten – und prozessiert für die PDS  ■ Von Michaela Schießl

Spät am Abend, wenn keiner sie sehen kann, knien die Brandenburger CDUler demütig vor ihren Betten nieder, falten die Hände und flehen zu ihrem unfreiwilligen Ehrenmitglied: „Lieber Gott, mach, daß er bald geht, mach, daß er weg ist, hol ihn hier fort. Und bitte, mach schnell.“

Das Ehrenmitglied erbarmte sich. Er sandte Vertreter der SPD und der PDS zum schwarzen Schaf, um es in eine fremde Herde zu locken. „Alle, alle, waren da und wollten mich haben“, frohlockt Peter-Michael Diestel, der bundesweit meistgehaßte CDU- Kollege.

Aber, Teufel auch, der Sündenbock will nicht. „Ich bin strunzbieder. Ich bin ein Konservativer. Ich stehe zum CDU-Programm.“ Da strahlt der 42jährige sein schlitzohriges Sonnyboy-Grinsen, wohl wissend, wieviel christdemokratische Magengeschwüre dieser Treueeid hervorruft. Doch gleich fängt er sich wieder. Auf der gebräunten Stirn kräuseln sich Kummerfalten, und er jammert wie ein gebeutelter Einzelhändler: „Das Problem ist, daß dieses wichtige Produkt christdemokratische Politik im Augenblick von den falschen Verkäufern vertrieben wird. Eppelmann, Heitmann und andere haben durch ihre Politik im Osten der CDU ein häßliches Gesicht verliehen.“

Ihn dagegen, den schönsten und letzten Innenminister der DDR, will die Partei verstecken! Sieht denn niemand, daß er der begnadete Kosmetiker ist, berufen, der Ost-CDU, ach, allen Ostlern die Schönheit wiederzugeben? Jene Schönheit, die aus Stolz erwächst, jenen aufrechten Gang, der sich nicht duckt vor der Vergangenheit, jenen geraden Blick, der sich nicht zu Boden senkt angesichts der neuen Herren. „Ich bin ein gelernter Ostler“, lautet Diestels Credo, „und ich schäme mich dessen nicht, im Gegensatz zu meinen Parteifreunden. Die hassen ihre Vergangenheit. Wir brauchen eine Politik, die die eigene Geschichte nicht diskreditiert, sondern als etwas Schöpferisches, Konstruktives ansieht.“

Schöpferisch und höchst kreativ, so zeigte sich Diestel schon 1990, als DDR-Innenminister unter Lothar de Maizière. Mit Phantasie beschönigte er die Übernahme von 1.500 Stasi-Mitarbeitern in den öffentlichen Dienst, abenteuerlich war sein Versuch, Spionagechef Markus Wolf als Stasi-Auflöser anzustellen. Sagenumwoben blieb bis heute sein obskurer Deal mit Bonn: Er bediente den Bundesnachrichtendienst unzulässigerweise mit Stasi-Dossiers zum internationalen Terrorismus. „Vor diesem Hintergrund, bekomme auch das Verschwinden von Akten bekannter Politiker,“ bemerkte später Berlins Stasi-Auflöser Werner Fischer 1991.

Die CSU-Ablegerpartei DSU, die Diestel 1990 gründete, verließ er fünf Monate später im Streit und konvertierte zur CDU. Die bekam schnell zu spüren, welches Kuckucksei sie sich ins Nest gelegt hatte. Zunächst schockierte er als Fraktionschef im Potsdamer Landtag, indem er allzuviel Verständnis für den Stasi-gepeinigten Ministerpräsidenten Manfred Stolpe aufbrachte. Allgemeines christdemokratisches Haareraufen, als ihr charismatischer Oppositionsführer dem Verfassungsentwurf der SPD-Regierung zustimmte. Erst zwei Jahre später, als Diestel öffentlich fand, daß so mancher inoffizieller Mitarbeiter der Stasi ein „Garant für den inneren Frieden“ gewesen sei, konnten sie den Querulanten zum Rücktritt bewegen.

Seither zieht der Verschmähte wie der Rächer der Konservativen durch Land und Landtag und beleidigt seine Parteikollegen, wo immer er kann. „Die Ost-CDU“, so teufelt er mitten in „Pfaffe Hintzes saublöde Rote-Socken-Kampagne“ (Diestel), sei wie früher: „Statt neue Leute zu suchen, wurde etwas, was schon damals CDU war, wieder zur CDU erklärt.“ Zuvor erfand er zusammen mit Gregor Gysi die Komitees für Gerechtigkeit, drohte offen mit der Gründung einer Ostpartei und sprach sich noch vergangenes Jahr für die Schließung der Gauck-Behörde aus.

Zur Strafe bekam er in Brandenburg keinen Listenplatz und muß nun als Direktkandidat für Beeskow durch die Lande tingeln. Doch selbst seinen politischen Niedergang verkauft der zweimalige Aktivist der sozialistischen Arbeit überzeugend als Sieg. „Wissen Sie“, säuselt er beim Beeskower Sommerfest seinen Wählern ins wunde Ostohr, „ich bin Ostdeutscher, und ich hab' ein großes Problem: Ich leide unter Heimweh. Die Atmosphäre von Bonn beängstigt mich und würde mir jeden revolutionären Schwung nehmen. Ich bin Ostdeutscher, ich möchte hier Politik machen, für Sie.“

Das klingt nach Einsicht und Demut, doch Diestel, der Spieler, hat sich einen heimtückischen Gegenschlag ausgedacht. Er prozessiert für die PDS, die gegen die Plazierung auf Nummer 16 der Wahlliste klagt. „Das ist doch ungerecht“, findet Diestel und streift die schwarze Robe für die roten Socken über.

Nur mühsam kann die Brandenburger CDU ihre Wut bändigen. Pressesprecher Nikesch mit zusammengebissenen Zähnen: „Diestel muß selbst wissen, was parteipolitisch opportun ist.“ Hinter den Kulissen jedoch stauen sich Rachegelüste. „Spitzenkandidat Wagner hat gesagt, nach der Wahl rechnen wir mit dem Diestel ab“, weiß Diestel. Deshalb tourt er von Fischerfest zu Schützenfest, von Sommerfete zu Podiumsdiskussion. „Ich werde ein überdurchschnittliches Ergebnis einfahren, wetten wir? Und dann wird abgerechnet, Herr Wagner.“

Lieber sind ihm da schon die Freunde von der PDS. „Wenn ich Geburtstag habe, kommt die ganze Horrorshow: Gysi, Bisky, Stefan Heym, alle eben. Das sind originelle, intellektuelle Köpfe, die der CDU fehlen.“ Dann passiert es schon mal, daß sie zusammensitzen und sich ausdenken, eine Ost- Gruppe zu gründen, die im Bundestag lästerliche Reden hält, die den lahmen Laden in Bonn so richtig aufmischt. Aber dazu kommt's dann doch nicht. PDS-Chef Lothar Bisky lacht sich krank angesichts Diestels rigider Vorstellungen von innerer Sicherheit. „Aber das macht nichts“, findet der PDS- Chef. „Mit Diestel zu reden, bringt Spaß. Er ist originell, klug und intelligent. Glück für uns, daß er sich nicht durchsetzen kann. Er wäre uns mit seiner menschennahen Politik gefährlich.“

In der Tat: Bei Helmut Kohls Ausspruch, die PDS sei ein Haufen rotlackierter Faschisten, entfährt es Diestel: „Jetzt ist er verrückt geworden.“ Solche Sprüche schicken sich nicht für einen bürgerlichen Politiker, schilt er und beschimpft gleich noch die SPD, die es nicht schafft, einen vernünftigen Gegenkandidaten aufzustellen: „Die wollen die Macht nicht.“ Von Bonner Freunden wisse er, daß Kohl sich totgelacht habe, als er von Scharping erfuhr. „Vor Schröder hätte er Schiß gehabt.“

Da muß sich Diestel, der Ärmste, eben zur PDS flüchten, um unter Intellektuellen zu sein: „Die ersten Westpolitiker, die ich traf, waren Streibl und Stoiber. Und da wundern Sie sich, daß ich lieber mit Gysi rede?“ Glücklich grinst der Hobby-Boxer nach dieser gelungenen Rechts-links-Kombination.

Ein Bier in der Hand, besteigt er das Podium beim Fischerfest in Brieskow-Finkenheerd, um, wie immer, die Leute dort abzuholen, wo sie stehen: „Ich spreche heut zu ihnen nicht als CDUler, sondern als Rechtsanwalt des Anglerverbandes. Ich bin die 5. Kolonne der Angler im Landtag. Weil, das weiß doch jeder, Angeln ist die Jagd des kleinen Mannes, und was wäre ein Mann ohne die Jagd.“ Leutselig schiebt sich der Mann mit der abgeschabten Jeans und den Lederflicken am Sakko durch die Menge, und alle grabschen nach diesem Sinnbild des selbstbewußten Ostens. Nur, für wen er steht, weiß keiner. „Für welche Partei kandidiert der eigentlich“, fragt man sich an jedem Wurststand. Die Antwort ist symptomatisch: „Ich glaube, CDU. Aber der macht denen nur Ärger. Und alle, die unbequem sind, sind gut für uns.“

„Die Ost-Nummer ist eine berechnende Geschäftsidee von Diestel, zugegebenermaßen eine geniale“, sagt dagegen Berlins Jugendsenator Thomas Krüger, wie Diestel Ostdeutscher. Er kennt ihn aus alten Kämpfen: „Früher waren wir direkte Gegenspieler, er war Innenminister, ich Ostberliner Innenstadtrat. Er wollte die Polizeihoheit Berlins. Bat mich zu sich und machte die Ost-Nummer. Von wegen wir schaukeln das schon.“ Krüger wurde schlecht beim Schaukeln, er ging und behielt die Befehlsgewalt. Die Fronten waren klar, und heftig kämpfte Krüger gegen Diestel für die Entstasifizierung. „Das Problem ist, die Leute nehmen ihm nichts übel. Er ist ein echter Populist“, klagt Krüger nicht ganz neidlos.

Diestel beherrscht das Spiel mit den Medien. Pünktlich zum Wahlkampf ließ er bekanntgeben, Präsident des Fußballclubs Hansa Rostock zu werden. Motto: „Mit mir in die Erstklassigkeit.“ Es gelingt ihm gar, Skandale politisch korrekt zu interpretieren: Als Innenminister hatte er sich selbst in Zeuthen ein Seegrundstück samt Haus für 192.000 verkauft. Das Bezirksgericht Potsdam verurteilte ihn zur Rückgabe der Immobilie. Nun will Diestel den Fall vom Bundesgerichtshof klären lassen. „Bin doch mal gespannt, ob die damaliges DDR-Recht zurückzudrehen wagen. Die sind doch nur sauer, daß ein Ostler was abbekommen hat von der Beute.“ Unglaublich viel Image bringe ihm dieser Skandal. Seine Wähler sind begeistert, wie hartnäckig er festhält. Doch, natürlich, auch dies geht nicht, ohne zu leiden. „Eigentlich würd' ich lieber woanders wohnen, wo es nicht so laut ist.“ Er hat's halt schwer, der Rächer der Enterbten.“ Aber: „So bin ich eben. Ich suche den Zustand, mit dem Rücken zur Wand zu stehen.“