Schwerer Institutionenkonflikt in Italien

■ Der Vorschlag neuer Antikorruptionsgesetze durch Mailänder Ermittler teilt Regierung wie Opposition / Regierungssprecher sieht Verfassungsbruch

Rom (taz) – Der Vorschlag kam nicht sonderlich überraschend, auch bescheinigen ihm alle guten Willen – und doch hat er ein wahres Beben ausgelöst: Nach einer Ankündigung durch den Ermittlungsführer der Mailänder Antikorruptions-Kommission „Mani pulite“ (Saubere Hände), Antonio Di Pietro, hat eine Reihe von Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern einen Vorschlag unterbreitet, „wie man aus der Schmiergeldrepublik herauskommen könnte“.

Konkret schlagen die Mailänder Ermittler vor, daß die Strafandrohung für Korruption auch auf „sekundäre Vorteile“ wie die Vermittlung günstiger Kredite erweitert wird. Gleichzeitig sollen die Gefängnisstrafen auf zwischen vier und zwölf Jahre erhöht werden. Noch schärfer sollen die Strafen sein, wenn es sich um Staatsanwälte, Richter, Polizisten, Diplomaten oder Militärs handelt. Die Schuldigen sollen auf Lebenszeit keine öffentlichen Ämter mehr ausüben dürfen.

Schmiergeldzahler ihrerseits sollen drei bis acht Jahre hinter Gitter, ebenfalls mit weiterer Verschärfung, sofern die Bestechung eine der genannten Kategorien von Beamten betrifft. Dafür aber kann sich sowohl der Bestochene wie der Bestechende von der Strafverfolgung befreien, wenn er den Fall innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Bestechung selbst anzeigt und den Betrag an den Staat aushändigt – selbstverständlich nur, wenn der Staatsanwalt bis dahin noch kein Ermittlungsverfahren aufgenommen hat.

Kaum war der Vorschlag in die Welt gesetzt, hagelte es auch schon von allen Seiten Protest. Die schärfste Kritik kam vom Regierungssprecher: Giuliano Ferrara, enger Vertrauter des Ministerpräsidenten Berlusconi, warf den Staatsanwälten „Verfassungsverstoß“ vor: „Angehörige der Rechtssprechung haben die Gesetze anzuwenden, nicht sie zu machen.“ Der Staatspräsident – der dem Obersten Richterrat vorsitzt, einem autonomen Selbstverwaltungsorgan der gesamten Rechtssprechung, sei hier gefordert, die vorlauten Staatsanwälte zurückzupfeifen.

Das wiederum forderte die Koalitionspartner heraus: Der Generalsekretär der Neofaschisten, Gianfranco Fini, ein echter Champion im medienwirksamen Umarmen von Volkshelden wie Di Pietro, stellte sich bedingungslos auf die Seite der Mailänder Ermittler. Innenminister Maroni von der „Lega nord“ vermochte „keinerlei Verfassungsverstoß“ darin zu erkennen, „daß Staatsanwälte mal formulieren, wie die bisher unbefriedigende Gesetzeslage verbessert werden kann“.

Sprengstoff innerhalb der Mehrheit barg dabei vor allem, daß es vor der Erklärung des Regierungssprechers keinerlei Sitzung des Ministerrates gegeben hatte. Und an dieser Stelle sind die Koalitionspartner Berlusconis besonders empfindlich, seit vor zwei Monaten ein Dekret zur Freilassung inhaftierter Politiker und Manager an ihnen vorbei in einer Nacht- und-Nebel-Aktion in Kraft gesetzt worden war, das nach schwerem Volkszorn zurückgenommen werden mußte.

Unklar sind sich auch Oppositionelle, ob sie die Initiative unterstützen sollen: Die Linksdemokraten sehen es als peinliches Versagen auch ihrerseits an, daß bisher keinerlei einschlägige parlamentarische Initiative auf dem Tisch liegt. Sie möchten lieber selbst noch eine ausarbeiten. Die Antikorruptionsbewegung „la Rete“ findet „viele Aspekte, die arg nach Amnestie aussehen“.

Dennoch kommt die für die Mailänder Ermittler deprimierendste Kritik weniger aus der Politik, sondern von juristischer Seite: der Koordinator der „Sauberen Hände“, D'Ambrosio, distanzierte sich von der Initiative, weil er „grundsätzlich der Auffassung“ ist, daß „die Judikative nicht die Aufgabe hat, einer trägen Legislative die Arbeit abzunehmen“.

Rechtsanwalt Spazzali, einer der angesehensten Strafverteidiger des Landes, der im ersten großen Schmiergeldprozeß den ehemaligen Generalmanager des Ferruzzi-Konzerns verteidigt hat, spricht von einer „Aktion Schwamm drüber, die eine seltsame Allianz geboren hat: Neofaschisten, Großunternehmer und Di Pietro gegen Berlusconi“. Auf überraschte Nachfragen, warum sich das ganze gegen Ministerpräsident Berlusconi richte, dessen Konzern doch kräftig in Korruptionsverfahren verwickelt ist und der froh sein müßte, sich straffrei reden zu können, verwies Spazzali darauf, daß just Berlusconi bisher allenfalls Kinkerlitzchen, nicht aber die schweren Bestechungsfälle zugegeben hat. „Er würde sich als Ministerpräsident unmöglich machen, gestünde er nun schnell noch zahlreiche Bestechungen ein, um straffrei zu bleiben.“ Die Neofaschisten dagegen sähen, so Spazzali, „eine einmalige Chance, sich beim Großkapital zu empfehlen, das ihnen bisher – wegen der Irritationen im Ausland und wegen ihrer Hauptklientel im Mittelstand – skeptisch gegenübersteht“.

Berlusconi selbst sucht derzeit abzuwiegeln und der Initiative des Volkslieblings Di Pietro noch einen anderen Dreh zu geben: Er sei strikt dagegen, daß die Judikative derlei Vorschläge mache, doch den Inhalt der Initiative könne man diskutieren – „gemeinsam mit anderen, die andere Stellen machen und die dann das Parlament entsprechend modifizieren kann.“