Innenministerium erteilt Maulkörbe

■ Keine Abberufung der umstrittenen Wissenschaftlerin Charlotte Höhn aus Kairo

Berlin (taz) – Das Bundesinnenministerium sieht „keine Veranlassung“, die deutsche Delegierte bei der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz, Charlotte Höhn, von dort abzuberufen. Höhn war in die Kritik geraten, nachdem die taz in ihrer Samstagausgabe Auszüge aus einem Interview veröffentlicht hatte, in dem Höhn unter anderem über zunehmende „Denkverbote“ klagt, etwa darüber, daß man heute nicht mehr sagen dürfe, daß Afrikaner eine niedrigere Intelligenz hätten als andere. Im gleichen Gespräch fragte Höhn im Rahmen einer Kontroverse über das Verhältnis der Nachkriegswissenschaftler zum nationalsozialistischen „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, ob es etwa erstrebenswert sei, daß sich kranke Menschen vermehrten.

Verschiedene Bundestagsabgeordnete, darunter Freimut Duve (SPD), und die Internationale Liga für Menschenrechte forderten daraufhin empört die sofortige Abberufung Höhns aus der Kairoer Delegation. Das Bundesinnenministerium, zuständig für die deutsche Delegation in Kairo und Finanzier des von Höhn geleiteten Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, deckt die in die Kritik geratene Bevölkerungswissenschaftlerin. In einer Stellungnahme des Innenministeriums heißt es: „Aus langjähriger Zusammenarbeit mit ihr besteht kein Grund zur Annahme, daß die ihr aus einem unter journalistisch fragwürdigen Umständen geführten ,Interview‘ unterstellten Aussagen ihre persönliche Meinung darstellen.“

Das klingt, als habe die taz das Gespräch mit Charlotte Höhn heimlich mitgeschnitten, danach zusammengekürzt, manipuliert und sinnentstellt. Nichts davon ist der Fall. Das Interview wurde von den Autorinnen Susanne Heim und Ulrike Schaz im Rahmen eines Buchprojektes geführt und mit Wissen der Befragten auf Tonband aufgezeichnet. Charlotte Höhn war sich bewußt, daß das Interview zur Veröffentlichung bestimmt war, wenngleich es ursprünglich – was auch nie behauptet worden war – nicht für die taz geführt wurde. Die ministerielle Mitteilung erscheint somit als reine Schutzbehauptung.

Besonders kommunikationsfreudig gibt sich das Ministerium ohnehin nicht. Für die taz ist niemand zu sprechen, und selbst die ARD sah sich radikal abgeblockt. Nachdem im gestrigen ARD-Morgenmagazin das Originaltonband abgespielt wurde, wollte die Nachrichtenredaktion des Hessischen Rundfunks mit dem Bundesinstitut selbst einen Dreh- und Interviewtermin vereinbaren. Dort war man auch einverstanden, zustimmen mußte jedoch noch das Innenministerium. Dessen Pressesprecher Schneider sah für eine weitere Berichterstattung jedoch „keine Notwendigkeit“ und untersagte kurzerhand die Dreharbeiten.

Unterdessen mehren sich die Forderungen, Charlotte Höhn aus der Kairoer Delegation abzuberufen. Christoph Nachtigäller, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e.V., erzürnte sich besonders über Höhns Äußerung zur Fortpflanzung kranker Menschen: „Wir haben doch seit langem ein Verständnis davon, daß wir eine tolerante Republik sind, für die das Lebensrecht absolut unantastbar ist. Ich bin völlig fassungslos.“ Höhn müsse sofort abberufen werden. Susanne Heim

Bernd Pickert

Kommentar Seite 10