Die Kunst des Gesprächs

■ In der "Arche Nova" suchen die Mitglieder mit Hilfe der Anthroposophie neue Formen des sozialen Miteinanders / Das Prinzip heißt Sozialkunst-Gestaltung

Die völlige Andersartigkeit – das faszinierte Eike Asen, als sie mit der Anthroposophie zum ersten Mal in Berührung kam. Nach allerlei Umwälzungen in ihrem Leben suchte Eike mit 43 Jahren nach einem wirklichen Sinn. Enttäuscht von diffusen esoterischen Gruppen, stieß sie über einen Mitbewohner, der auf einer Waldorfschule gewesen war, auf die Anthroposophie. Die Werke Rudolf Steiners erschienen ihr als zeitgemäßes Gedankengebäude, das auf Wissenschaftlichkeit beruht. „Und dann hatte ich das Gefühl, irgendwie wußtest du das schon mal.“

Seit drei Jahren ist Eike bei der „Arche Nova“, einer anthroposophischen Gemeinschaft in Berlin. Die Arche Nova versteht sich als „werdende Gemeinschaft, in der jeder frei ist, aufeinander zuzugehen“. Zum harten Kern gehören etwa fünf Leute, vom Heilpraktiker bis zur Buchhändlerin. Was sie verbindet ist die Anthroposophie. Auf der Suche nach den Wurzeln der Not in der gegenwärtigen Gesellschaft, von Arbeitslosigkeit bis zur Gewalt, will die Arche Nova neue Formen des sozialen Umgangs entwickeln. „Soziales Miteinander verstehen wir als künstlerische Fähigkeit“, sagt Ingeborg Woitsch, „als Fähigkeit, aufeinander zuzugehen und gemeinschaftlich aus dem Interesse für den anderen zur eigenen Individualität zu finden.“ Im Gespräch, „das aus einer Bewußtseinsarbeit an den menschlichen Problemen des Zusammenlebens“ erwachse, spiele die Einmaligkeit jeder menschlichen Begegnung eine wichtige Rolle.

Voraussetzung für eine Überwindung der gegenwärtigen sozialen Verhältnisse sei die Vorstellung von wiederholten Erdenleben sowie die geisteswissenschaftliche Methode. In Gesprächsrunden, in denen auch politische Gegenwartsfragen diskutiert werden, übt die Gemeinschaft das „neue Gespräch“.

Es ist auffällig ruhig in dem kleinen Raum. Der Schein der Kerze inmitten der Runde wirft ein warmes Licht auf die verwaschen lilagetupften Wände. Das Gespräch dreht sich um den Verlust des Geistigen in einer naturwissenschaftlich geprägten Gegenwart. Es dreht sich um die geistige Kraft des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Vor allem aber dreht es sich um die Art, miteinander zu reden. Die Pausen zwischen den Redebeiträgen sind auffällig lang. Man möchte den anderen aussprechen lassen. „Man lernt, nicht aggressiv zu sein, und sich auf die Gedanken des anderen einzulassen, ohne sie gleich zu bewerten,“ meint Detlev. „Es ist nicht so wichtig, immer seine Meinung laut kundzutun“, ergänzt Eike. „Vielleicht entwickelt ohnehin ein anderer den Gedanken und vielleicht auf eine bereichernde Weise.“ Findet die Gemeinschaft wirklich zu einer neuen Qualität des Gesprächs? Die Mitglieder sind davon überzeugt. „Seit ich bei der Arche bin“, meint Eike, „bin ich wacher geworden.“ In ihrem Job beispielsweise kann sie die starren Hierarchien nicht mehr einfach wegstecken. Auch wenn sie dafür belächelt wird, meint Eike, bringt sie öfters Kritik an. Die Anthroposophie hilft ihr, ihre Arbeit beim Arbeitsamt zu ertragen.

Langfristig soll die Arche zu einer Lebens-, Wohn- und Arbeitsgemeinschaft mit biologisch-dynamischer Landwirtschaft werden. Der erste Schritt ist getan. Seit etwa drei Monaten gibt es ein gemeinsames Konto, von dem sich jeder soviel nehmen kann, wie er zu brauchen meint. Der Versuch der Umsetzung eines geschwisterlichen, gemeinsamen Wirtschaftens im Sinne Steiners. Sollte es soweit sein, geht Eike mit und gibt ihren Job auf. Anja Dilk