Hier können wir Frust ablassen

Im Gesprächskreis des anthroposophischen Projekts „Knackpunkt“ können Inhaftierte Probleme loswerden / Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie steht im Mittelpunkt  ■ Von Hella Kloss

„Die Arbeitsgruppe Knackpunkt trifft sich im Gemeinschaftsraum“, knattert es durch die Lautsprecheranlage der Teilanstalt drei. Nacheinander treffen die Teilnehmer, allesamt Gefangene der Justizvollzugsanstalt Tegel, am Treffpunkt ein. „Sind wir vollständig?“, fragt Gruppenleiter Friedmut Dreher. „Wenn sie nicht vergessen haben, jemandem aufzuschließen schon“, kommt die sarkastische Antwort von Thomas M. Jeden Montag trifft sich der Gesprächskreis, organisiert vom Projekt „Knackpunkt“ des Sozialen Gemeinschaftswerkes. Acht Gefangene nehmen diesmal an der Sitzung teil, auch zwei neue Gesichter sind darunter.

Um ihnen einen Einblick in die Arbeit von „Knackpunkt“ zu geben, erklärt Peter K.: „Hier in der Gruppe kann man über seine Probleme reden und was sonst alles schief läuft im Knast.“ Trotz diverser Auseinandersetzungen sei er immer wiedergekommen, auch wenn sich der Gedanke, wegzubleiben, hin und wieder eingestellt habe. Die Gruppenarbeit erfordert eine starke Auseinandersetzung der Gefangenen mit ihrer Vergangenheit.

Biographiearbeit nennt Betreuer Friedmut Dreher diesen Ansatz. Entweder liest die Gruppe gemeinsam eine Biographie, jemand hält ein Referat über ein Buch, oder Einzelne erzählen ihren Lebenslauf.„Seitdem ich mich mit meiner eigenen Biographie beschäftigt habe, begreife ich, daß ich selbst meine Probleme lösen kann“, erzählt Ahmad K. Für Kemal S. dagegen war wichtig, sich wieder aufzurichten. „Ich war ganz zerbrochen, als ich hier nach Berlin verlegt wurde. Ich habe gelernt, daß man auch hier für seine Rechte kämpfen muß“, erklärt er.

Den Betreuern des anthroposophischen Projektes ist es wichtig, jedem Menschen eine eigene Entwicklung zuzugestehen. In Diskussionen lernen die Gefangenen den Standpunkt des anderen zu akzeptieren und sich mit Kritik auseinanderzusetzen. „Früher ging in den Sitzungen schon mal ein Tisch zu Bruch, heute versuche ich mich zu beherrschen, oder haue einfach ab“, sagt Peter K.. „Man kann die Situation im Knast nicht von heute auf morgen ändern“, beschreibt Friedmut Dreher seinen Ansatz, „aber die Einstellung der Leute.“

„Knackpunkt“ beginnt mit der Betreuung bereits in der Untersuchungshaft. Über Inhaftierungszeiten, Lockerungszeiten, bis zur Entlassung wird sie fortgesetzt. Neben den Gruppengesprächen im Gefängnis finden regelmäßige Veranstaltungen „draußen“ statt. Haftentlassene oder Freigänger treffen sich in den Räumen des Projektes zu einem Gesprächskreis oder einer Freizeitgruppe. „Wer sich verändern will, bekommt hier eine Basis geboten, um das zu verwirklichen“, erklärt die Gruppenbetreuerin Gerlind Fenner. Das Mißtrauen sei anfangs schon groß, räumt sie ein. „Die Leute sind Gruppenmüde und kommen hier erst mal mit einer sehr kritischen Haltung her.“

Der „Knackpunkt“ ist auf Leute angewiesen, die sich engagieren möchten. „Wir suchen Vollzugshelfer, die bereit sind, bei uns mitzuarbeiten“, betont Friedmut Dreher. Auch die Gefangenen brauchen Kontakte nach „draußen“. Denn: „Resozialisierung findet in der Anstalt nicht statt“, meint Dreher. „Der Knast erzieht zur Unselbständigkeit.“ Auch die Inhaftierten kritisieren die Betreuung im Knast. Die Sprechzeiten der Sozialpädagogen seien zu kurz, die Chance auf ein intensives Gespräch gleich null, so ihr Fazit. Doch neben dem Ärger zeigen sie auch Verständnis. „Die sind doch mit der Situation hier völlig überlastet, für zweihundert Insassen sind gerade mal vier Sozialpädagogen vorhanden“, beschreibt Rolf P. die Misere.

Im „Knackpunkt“ können sie wenigstens einmal die Woche ihren Frust und ihre Probleme loswerden. Auch die Schweigsamen versucht Friedmut Dreher aus der Reserve zu locken. „Viele sind im Knast sprachlos geworden. Mit Redeübungen sollen sie lernen, ihre Bedürfnisse wieder zu artikulieren“, meint er. Inzwischen drängen die Gefangenen darauf, sich mit ihrer Situation zu beschäftigen, damit Konflikte nicht eskalieren.

Doch für längere Diskussionen ist an diesem Tag keine Zeit mehr. Schnell wird noch der Arbeitsplan für das nächste Treffen vorgestellt, dann ist die Sitzung beendet. Zwei Stunden lang haben die Gefangenen sozialen Kontakt erlebt, bis sie wieder hinter ihren Zellentüren verschwinden. Hella Kloss