■ Ökolumne
: Heiter weiter? Von Manfred Kriener

Einen Monat vor der Wahl diskutiert die Medienlandschaft das „Phänomen Kohl“. Der Bundeskanzler ist demnach stark, hart, machtbewußt, bodenständig, er liebt uns, er hat international Statur gewonnen usw. Die Debatte trägt monarchistische Züge. Die zentrale Frage deutscher Talkmaster: Warum ist Kohl unschlagbar? So kann man einen Sieg herbeitalken.

Tatsächlich steht es gegenwärtig unentschieden. Die Oppositionsparteien SPD, Bündnis/Grüne und PDS haben nach letzten demoskopischen Zahlen der FAZ exakt gleich viel Stimmanteile wie CDU und FDP. Das Problem ist nicht Foto: Georgios Anastasiades

der angeblich

unschlagbare Kanzler, sondern die armselige Ausstrahlung der Alternative. Keine einzige rot-grüne Wählerinitiative, keine Stimmung für die Wende. Und das liegt nicht nur am Kandidaten Scharping und dessen berühmtem Charme eines Sparkassen-Filialleiters.

Mit der Vorstellung des Schattenkabinetts hat Scharping seinen Ruf allerdings eindrucksvoll bestätigt. Der letzte Funken politischen Aufbruchs scheint zerstoben. Mit Gerhard Schröder hat der Kandidat zwar seinen wichtigsten innerparteilichen Kritiker geschickt eingebunden, aber sonst ist seine Truppe wenig aufregend. Wer auf ein Ministerium für ökologischen Umbau gehofft hatte, auf einen Verkehrsminister Frederic Vester oder Helmut Holzapfel, auf eine Frauenministerin Alice Schwarzer oder einen Energieminister Ernst Ulrich von Weizsäcker, wer auch nur auf ein kleines politisches Signal gewartet hatte, wurde erneut frustriert. Statt frischer Gesichter und neuem Elan altgediente Parteiarbeiter und „bewährte“ Ressortzuschnitte. In seichtem Wasser kann man wenigstens nicht ertrinken.

Aber es muß noch andere Ursachen für die rot- grüne Graumäusigkeit geben als allein Scharping. Wer mit den Bündnisgrünen redet, findet sie inzwischen so fixiert auf ihre neue konstruktiv-realpolitische Rolle, daß die Konturen der Partei zu verblassen drohen. Intern wird offen eingestanden, daß ein rot-grüner Haushaltsentwurf im Prinzip auch nicht anders aussehen werde als der von Herrn Waigel, weil die finanziellen Spielräume fehlen. Und sonst? Gibt es jenseits etatistischer Sparzwänge noch politische Phantasien? Offenbar wenig. Die intellektuelle Klientel hat sich zurückgezogen, die Partei sieht keine Konfliktfelder, um Jugendliche politisch zu mobilisieren. Und: Der Zusammenbruch des Sozialismus hat utopische Kräfte aufgefressen. Da muß man sich mit Günter Altner trösten: „Dennoch ist in allen Menschen die Sehnsucht nach der Zeit, da alle Tränen abgewischt und alle Leiden überwunden sein werden, unbesiegbar.“ Ob die Bündnisgrünen Altner lesen?

Und die Ökologie? „Die nackten Fakten kommen hier gar nicht mehr vor“, beschreibt ein Parteimitglied die Situation. Keine Frage: Die Bündnisgrünen haben die unter wirtschaftlichem Druck genommene gesellschaftliche Auszeit für die Fragen des Überlebens zumindest teilweise nachvollzogen. Verständlich. Aber Rezessionen kommen und gehen – die Stoffwechselstörung des Planeten bleibt. Und gerade auf diesem Feld steht der gesellschaftliche Umbau an.

Das „Jahrzehnt der Ökologie“ (George Bush) ist nicht zu Ende, nur weil die Bundesregierung eine Ökopause beschlossen hat. Die Computersimulationen der Zukunftsforscher Donella und Dennis Meadows zeigen sehr schön, wie exponentielles Wachstum von Problemen funktioniert, wie das Hinauszögern von Lösungen katastrophale Grenzüberziehungen möglich macht. Vier weitere Jahre Helmut Kohl würden, neben vielem anderem, ganz einfach vier Jahre Zeitverlust bedeuten. Wer glaubt, sich mit vier weiteren Jahren dieses Kanzlers abfinden zu müssen, der sollte sich zuvor diese Konsequenz vor Augen halten. Der muß sich fragen, was ein fortgesetztes Business as usual für dieses Land mit seiner umweltpolitischen Schlüsselrolle bedeutet. Wer ernsthaft darüber nachdenkt, kann einen Kanzler Kohl im Jahre 1998 nur entsetzlich finden. Aber offenbar bremst unsere Selbstzufriedenheit aus der anhaltenden materiellen Schönwetterperiode ein Engagement für Veränderung. Vielleicht sind wir – seit 1989 – auch mißtrauischer geworden gegenüber unseren eigenen Wünschen nach gesellschaftlichem Wandel. Doch das alles kann nicht die heitere Teilnahmslosigkeit rechtfertigen, mit der wir uns auf vier weitere Jahre mit diesem Bundeskanzler einrichten.

Der Autor ist freier Journalist in Berlin.