Schwarz-Grün in Sachsen?

■ Wenn Kurt Biedenkopf bei den morgigen Wahlen in Sachsen seine absolute Mehrheit verliert, könnte es zu ganz neuen Konstellationen kommen / "Wir werden mindestens drei Ministerien fordern", kündigen die Grünen an

Wenn Kurt Biedenkopf bei den morgigen Wahlen in Sachsen seine absolute Mehrheit verliert, könnte es zu ganz neuen Konstellationen kommen /

„Wir werden mindestens drei Ministerien fordern“, kündigen die Grünen an

Schwarz-Grün in Sachsen?

Ministerpräsident Kurt Biedenkopf dementiert. Sein Umweltminister, Arnold Vaatz, dementiert auch. Nur der sächsische Innenminister und stellvertretende Bundesvorsitzende Heinz Eggert hält sich nicht an die Sprachregelung. Eine Woche vor den sächsischen Landtagswahlen spielte er, für den Fall, daß seine Partei morgen die absolute Mehrheit verpaßt, die möglichen Koalitionsvarianten durch. Eggerts Ergebnis: Schwarz-Grün.

Schon einmal stand diese Konstellation zur Debatte, 1991 in Baden-Württemberg. Aber damals war es für Grüne wie Union selbst eher eine Sensation, daß plötzlich schwarz-grüne Sondierungsgespräche liefen — sie scheiterten an den gegenseitigen Vorbehalten.

In Sachsen sind Überlegungen zu einer Koalition mit den Konservativen längst nicht mehr sensationell. Seit über einem Jahr bereits läuft im Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen die Diskussion. Die Gründe für mangelnde Berührungsängste liegen auf der Hand: Auch das Bündnis ahnt, daß im CDU-dominierten Sachsen, wo Kurt Biedenkopf unangefochten als Ministerpräsident amtiert, ein rot-grüner Machtwechsel auf längere Zeit unrealistisch bleibt — die SPD schaffte beim letzten Mal gerade 19 Prozent. Das Magdeburger Modell einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Duldung durch die PDS haben die Bündnisgrünen jetzt schon ausgeschlossen. Für Biedenkopf hingegen gäbe es als Koalitionsvarianten nur schwarz-grün oder die große Koalition. Mit dem Einzug der Liberalen rechnet in Sachsen niemand.

Wer in Sachsen regieren will, kommt an der Union nicht vorbei. Das weiß auch SPD-Herausforderer Karl-Heinz Kunkel, der die vergangene Legislaturperiode eher dazu nutzte, sich als Biedenkopfs Partner in spe zu präsentieren. Rot-grüne Ambitionen sind Kunckel bislang kaum nachzuweisen, was die CDU-Orientierung der Bündnispolitiker in der Vergangenheit noch verstärkt hat.

Auch die biographische Nähe zwischen den ehemaligen DDR- Bürgerrechtlern, die nach der Wende zum Teil ins Bündnis, zum anderen in die Union wechselten, haben in Sachsen grün-schwarze Distanzen von westdeutschem Format erst gar nicht aufkommen lassen. Die Reformaura des Landesvaters, sein Ruf als Kohl-Geschädigter und CDU-Vordenker, der wertorientierte, zugleich innovationsfreudige Konservatismus Biedenkopfs haben es führenden grünen LandespolitikerInnen zudem erleichtert, die schwarz-grüne Option zu thematisieren.

Auf grüner Seite treibt vor allem Werner Schulz die schwarz- grüne Option voran. Schulz — parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsgruppe und sächsischer Spitzenkandidat für den Bundestag — ist ein harter, bisweilen sturer Realpolitiker, der an seiner Durchsetzungsfähigkeit auch gegenüber künftigen CDU-Verhandlern keine Zweifel aufkommen läßt. „Wir werden drei Ministerien fordern“, kündigte er gestern auf einer Pressekonferenz an.

Schulz würde in Sachsen gerne demonstrieren, daß sich auch mit den Konservativen „Sach- und Reformbündnisse“ schließen lassen. Neben Schulz haben in den zurückliegenden Monaten auch die Landtagsspitzenkandidatin Kornelia Müller oder Landesgeschäftsführer Hubertus Grass schwarz-grüne Affinitäten erkennen lassen. Werner Schulz, Parteisprecherin Marianne Birthler oder der sächsische Europaabgeordnete Wolfgang Ullmann haben sich zudem immer gegen eine Verortung der Partei links von den Sozialdemokraten ausgesprochen. Es wäre „fatal“, meint Marianne Birthler, „wenn wir uns dauerhaft und ausschließlich auf die Rolle des SPD-Juniorpartners festlegen“ würden.

Im Landesverband hat die Schwarz-Grün-Option heftige Kontroversen ausgelöst. Vergleichbar den Debatten um rot- grüne Regierungsbeteiligung in den achtziger Jahren hat sich auch in Sachsen an der Frage allseitiger Koalitionsfähigkeit ein Glaubenskrieg entzündet. So wertete etwa im Juni das Chemnitzer Bündnis die schwarz-grüne Option als „einen Schlag ins Gesicht der Basis“. Wenn die Diskussion nicht beendet werde, drohe das Abrutschen unter die Fünfprozentmarke.

Wie die Basis reagiert, falls sie am Ende eine Koalition mit der CDU absegnen müßte, ist offen. Doch es gibt Anzeichen, daß es zum Verdikt gegen Schwarz-Grün nicht reicht. Auf der Landesliste, die unter dem Eindruck der Schwarz-Grün-Debatte besetzt wurde, dominieren die Befürworter. Exponierte Gegner von Schwarz-Grün landeten auf aussichtslosen Plätzen.

Dennoch, auch die Befürworter können sich noch nicht recht vorstellen, wie sie sich in den absehbaren Streitfragen mit der Union einigen sollen. Marianne Birthler räumt ein, daß ihr „die Phantasie fehlt“, wie etwa in der Innenpolitik ein Reformbündnis mit der Union zustandekommen könnte. Nicht nur die „Wendepunkte“, mit denen die Grünen ihren Wahlkampf bestreitet, legen die Hürde für eine Koalition eher hoch. Sie sei nur dann zu realisieren, „wenn die CDU in zentralen Politikbereichen radikal umsteuert.“ Das sehen nicht nur Landtagskandidaten Burghard Brinksmeier, Kornelia Müller oder Heiko Weigel so. Auch Werner Schulz hat unterschrieben. Doch er verweist weiterhin auf Gemeinsamkeiten, etwa beim ökologischen Strukturwandel der Wirtschaft, einer sparsameren Verwaltung oder in Fragen der sozialen Sicherheit. Wie die Differenzen etwa über den Bau der Autobahn Dresden-Prag, den Braunkohleabbau oder — zentraler Konfliktpunkt — das neue sächsische Polizeigesetz aufgelöst werden könnten, ist dagegen völlig offen. Das ausgerechnet von Schwarz- Grün-Befürworter Eggert entworfene Polizeigesetz, das den Einsatz verdeckter Ermittler, eine längere Untersuchungshaft oder den „finalen Rettungsschuß“ ermöglicht, bewertet auch Schulz als „Sammlung von Gruselparagraphen“.

Distanziert reagiert die grüne Bundesebene. Parteisprecher Ludger Volmer oder Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle argumentieren nicht prinzipiell gegen ein schwarz-grünes Bündnis, sondern verweisen auf die inhaltlichen Streitpunkte. Auch der Bundestagswahlkampf ist Grund für grüne Vorsicht. Wo es der Opposition ohnehin schwerfällt, die rot-grüne Reformalternative für Bonn zu präsentieren, könnte Schwarz- Grün in Sachsen für Irritationen bei der grünen Klientel sorgen.

Wenn die Union morgen ihre absolute Mehrheit verliert, wird sich die Koalitionsdebatte dennoch kaum stoppen lassen. Und selbst wenn Biedenkopf weiterhin allein regieren kann: mit der sächsischen Diskussion ist die schwarz- grüne Tabuschwelle weiter gesunken. Vielleicht ist ein solches Bündnis kein Projekt der ausgehenden Kohl-Ära. Doch daß es sich auf Dauer verhindern ließe, daran wollen selbst die Konservativen aus beiden Parteien nicht recht glauben. Matthias Geis