Hort oder Residenz?

■ Heute feiert das Literaturhaus seinen 5. Geburtstag

Vor einer prachtvollen Gründerzeitvilla an der Außenalster stehen Menschen in einer Schlange. Das Gedränge ist ein kurioser Anblick in dem großbürgerlichen Viertel am Hamburger Schwanenwik. Zudem wird hier Einlaß begehrt zu dem im Zeitalter der digitalen Vernetzung anachronistisch erscheinenden Zeitvertreib des Zuhörens.

Durch das Portal geht es vorbei an Stefan Samtlebens Buchhandlung, die zur Lektüre einen Erker mit Alsterblick anbietet und eine Literaturauswahl, die es in Hamburg so nur hier gibt. Vorbei an einer Bar aus Glas, Spiegeln und Stahl, im kühlen Charme der 80er Jahre. Hat man den Ort der Verheißung erreicht, säumen Engelsköpfe die Saaldecke, über ein klassizistisches Deckengemälde und die allseits aufmerksamen Gesichter schweifen die Blicke. Das Ambiente strahlt Wohlstand und Großzügigkeit aus. Ein selten pompöser Ort für eine Hungerleiderin unter den Künsten: die Literatur.

Es hat etwas feierliches, wenn die Programmdirektorin die Stimme erhebt, um anzukündigen, welche literarische Soiree den Besucher erwartet. Die Aura des geheimnisvollen, von der der museale Ort erfüllt ist, verflüchtigt sich. Literatur findet in der Gegenwart statt. Hier wird erzählt, wird vorgetragen, diskutiert und in Szene gesetzt. Hier macht das Hamburger Literaturhaus Programm, in diesem September seit 5 Jahren und mit großem Erfolg. Namhafte Schriftsteller aus aller Welt lesen aus ihren Werken. Es gilt ein elitäres Selbstverständnis: wer eingeladen wird, hat Maßstäbe gesetzt – in der Literatur oder der literarischen Debatte.

Das akzentuierte Programm der Literaturkritikerin Christina Weiss hat dem Haus in den ersten Jahren einen glänzenden Start und internationales Renommee eingetragen. Sprachkunst und -spiel in allen Formen, getreu Roland Barthes' Credo von der „Lust am Text“, setzte sie „gegen den Mißbrauch und gegen die Vernutzung von Sprachen“. 1991 wurde ihr der „Leseort fürs Zuhören“ zum Sprungbrett in das Amt der Kultursenatorin.

Seitdem führt Ursula Keller im Literaturhaus Regie. Die Literaturkritikerin, Fernsehautorin und Dramaturgin hat mit einem vielschichtigen Programm Brücken geschlagen zu anderen Kunstsparten, Film, Theater und Kabarett, aber auch die „Literarischen Landschaften“ anderer Länder vorgestellt, Diskussionsrunden nicht nur zur Gegenwartsliteratur, sondern auch zu gesellschaftspolitischen Themen veranstaltet. An rund 80 Abenden im Jahr wird das Haus zu einem Forum für die Begegnung mit Literatur.

Dennoch meint eine häufig vorgebrachte Kritik, für und mit den Hamburger Autoren und Autorinnen würde das Literaturhaus zu wenig tun. Auf das Literaturzentrum, einen von Hamburger Schriftstellern gegründeten Autorenverband, der im Literaturhaus arbeitet, trifft das sicher nicht zu. Als notwendige Ergänzung zum Programm des Literaturhauses realisiert das Lit ein stärker auch gesellschaftliche und politische Sachthemen einbeziehendes und die Hamburger Literaturszene förderndes Veranstaltungskonzept.

Eine „Villa Massimo“ wie ursprünglich einmal als Utopie ausgegeben, eine Herberge für Dichter, ist das Literaturhaus nicht geworden. Hier regiert der Alltag des Geschäfts. „Bücherfrauen“ und Übersetzer treffen sich im Cafe Schwanenwik. Verleger, Lektoren und Werber veranstalten in der „Belletage“ im 1. Stock des Hauses Konferenzen. Und wo bleiben die Dichter? Einmischung und Widerspruch sind nicht gerade Attribute, deren sich die deutsche Gegenwartsliteratur erfreuen würde und besonders kommunikativ sind ihre Autoren tatsächlich nicht. Die bewegenden Themen unserer Zeit werden meist hinter geschlossenen Türen und andernorts diskutiert.

Das Literaturhaus ist ein repräsentativer Ort, immerhin aber auch ein Hort der Literatur geworden. Wer sich hier in den letzten Jahren regelmäßig sehen ließ, konnte ganz besonders dieses: belesen werden. Und die Dichter kommen hoffentlich heute abend zur Jubiläumsfeier. Dazu präsentiert sich das Haus mit dem poetisch-magischen Ein-Mensch-Theater des Verwand-lungsreisenden Natias Neutert, serviert werden diverse „Dichter-Getränke“ und im Anschluß gibt es Musik und Tanz.

Jürgen Abel