Rekordjagd im Malawi-See

Im drittgrößten See Afrikas lohnt sich der kommerzielle Fischfang nicht  ■ Aus Senga Bay Andreas Sentker

Ken Irvine packt seine Koffer. Der Mikrobiologe kehrt nach zwei Jahren im malawischen Senga Bay nach Dublin zurück: an das Trinity College, an dem bereits James Joyce studierte. Die Forschungsstation in Senga Bay ist nur über eine holprige Sandpiste zu erreichen. Ein kleines Schild weist den Weg, UK/SADC steht auf dem zerknitterten Blech. Die Buchstabenkombination kennzeichnet eine einmalige Kooperation. Mit Unterstützung Großbritanniens und der South African Development Cooperation versuchen Wissenschaftler in Mosambik, Tansania und Malawi, die Fischreserven im Malawi-See zu ergründen.

In Senga Bay stehen Kisten herum. Die letzten Daten werden in die Computer eingegeben und ausgewertet. Noch vor wenigen Wochen arbeiteten hier bis zu vierzig Wissenschaftler und ihre Helfer. Sie interessierten sich besonders für die Fischvorkommen in den tieferen Bereichen des offenen Wassers. Neben den Einbäumen der Malawier nimmt sich das kleine Forschungsschiff Usipa geradezu riesig aus. In Großbritannien gebaut, wurde es wieder zerlegt und nach Monkey Bay transportiert. In der kleinen Hafenstadt am Lake Malawi setzten die Arbeiter das zwei Millionen Pfund teure Schiff wieder zusammmen.

Usipa ist der traditionelle Name eines kleinen Fisches. Der sardellenähnliche Barsch war das Hauptuntersuchungsobjekt der Wissenschaftler. Engradicypris sardella, so sein wissenschaftlicher Name, galt als der Hauptvertreter der Fische im See und sollte damit gleichzeitig den Hauptanteil an der Biomasse bilden. Die Forscher stellten schnell fest: Nur die Larven des Fisches bilden einen hohen Biomasseanteil im offenen Wasser. Über den Verbleib der unzähligen Larven aber ist wenig bekannt. Auch am Ende des Projektes bleiben Entwicklungswege und Verhalten weitgehend unverstanden.

Die entscheidende Frage, deren Beantwortung die Weltbank mit immerhin vier Millionen Mark finanzierte, müssen die Wissenschaftler negativ beantworten. Die Fischreserven des Sees reichen für eine kommerzielle Nutzung nicht aus. Seit Februar 1992 erkundeten die Wissenschaftler in Senga Bay Chemie und Ökologie des Sees: Die Fische, das machten die Erkundungsfahrten mit der Usipa schnell deutlich, sind über weite Bereiche verteilt, dichte Schwärme treten nur selten auf. Der Nährstoffgehalt des Sees ist sehr gering. Vor allem die niedrigen Phosphat- und Nitratkonzentrationen sind der Grund für die schwache Nährstoffbasis am Anfang der Nahrungskette. Typisch für einen tropischen See aber ist die hohe Umsatz- und Produktionsrate. Barsche stellen den Hauptteil der Fische. Sie wachsen und vermehren sich nur sehr langsam. Im freien Gewässer fanden die Wissenschaftler nur 12 Fischarten, denen ein vielfältiger Artenreichtum in den Uferzonen gegenübersteht. In den oft sehr kleinen Habitaten läßt sich die Evolution wie im Lehrbuch studieren. Die geringe Nährstoffbasis im See aber läßt eine Einführung fremder schnellwachsender Arten unsinnig scheinen. Die Fehler vom Viktoriasee, davon ist Irvine überzeugt, wird man am Lake Malawi nicht wiederholen. Der im größten afrikanischen Binnensee ausgesetzte Nilbarsch hatte dort nach und nach alle anderen Arten verdrängt. „In Malawi“, weiß Irvine, „ist man sich der Problematik bei der Einführung neuer Arten sehr wohl bewußt.“

Die Suche nach kommerziell nutzbaren Fischreserven war vergeblich, dennoch können Irvine und seine Kollegen mit einer kleinen Sensation aufwarten. Die Lake-Fly, ein winziges, unserer Eintagsfliege ähnelndes Insekt, ließ die Wissenschaftler staunen. Die nur wenige Millimeter lange Chaoborus edulis bildet beeindruckende Schwärme. Was der unbedarfte Beobachter für Rauch am anderen Seeufer oder eine vereinzelte Wolke hält, sind tatsächlich Abermillionen der winzigen Insekten. Wenn man in einen solchen Schwarm gerät, sind die kleinen Plagegeister sofort überall. Sie schwirren in Ohren und Nasenlöcher, unterwandern den Hemdkragen und kommen durch die Hosenbeine. Die Seeanwohner haben den Nährwert der Insekten schon früh entdeckt. Sie backen eine Art Brot aus den eingesammelten Winzlingen. „Es schmeckt ziemlich nach Fisch“, berichtet Ken Irvine.

Bisher dachte man, die Fliege konkurriere mit den Fischen um kleine Planktonpartikel, stehe aber sonst höchstens auf dem Speiseplan der Uferbewohner. Die britischen Forscher entdeckten nun ein faszinierendes Wechselspiel im Lebenslauf der Fliege. Das vierte und letzte Larvenstadium der Lake-Fly weist überraschende Verhaltensmerkmale auf. Tagsüber leben die bis zu sieben Millimeter langen Larven in 250 Metern Tiefe, bei einem Sauerstoffgehalt von höchstens drei Prozent allein schon eine bemerkenswerte Leistung. Im Schutze der Dunkelheit aber steigen die Larven nachts bis unter die Oberfläche auf. Die gut sichtbaren Larven sind leichte Beute für die Fische. Der morgendliche Rückzug in tiefere Gefilde läßt jedoch die meisten Räuber an der Oberfläche zurück. So bleibt die Populationsdichte der Fliege stabil. „Die Fische stellen ihren Speiseplan rasch um“, berichtet Irvine. „Manchmal finden wir im Mageninhalt nur Plankton, dann wieder nur Fliegenlarven.“

Es sind noch viele Fragen offen. Die Wechselbeziehungen zwischen ufernahen Bereichen und dem offenen Wasser sind kaum geklärt. „Wir haben ein Projekt fortgesetzt, das bereits 1981 abgeschlossen wurde, die Lücke von 10 Jahren ist nur schwer zu füllen“, klagt Irvine. „Bis zur nächsten Fortsetzung des Projekts darf nicht wieder soviel Zeit verstreichen.“ Irvine ist in Gedanken schon auf dem Weg zu seiner Familie in Dublin. Vielleicht wird er dort die Ökologie des Shannon-Rivers untersuchen – oder nach Malawi zurückkehren. Es sind noch so viele Fragen offen.