■ Pedro Luis Ferrer, Kubas populärster Liedermacher, über die Massenflucht und die aktuelle Krise seines Landes
: Zu wem soll ich noch singen?

taz: Ein Gedicht, das Sie im letzten Jahr geschrieben haben, heißt: „Es gibt viele Leute, die fliehen ...“

Pedro Luis Ferrer: „... wohin werden die fliehen, die schon nichts mehr verlieren, wenn die Gegenwart der Ruin des wenigen ist, das sie haben“ – jetzt kann ich das ja gar nicht mehr vortragen, die Wirklichkeit hat das um Längen überholt. Die Leute hauen in Massen ab, ihnen ist alles egal. Wenn es Boote gäbe, würden bestimmt zwei bis drei Millionen Kubaner weggehen, das ist nicht übertrieben. Sind das alles Vaterlandsverräter? Die Revolution, „das Projekt der kubanischen Nation“, hätte das Volk doch nie so spalten dürfen. Was ist noch la patria, was ist noch Kuba? Zu welcher Nation kann ich überhaupt noch singen?

Es gibt eine Stimmung des „Rette sich, wer kann“ ...

Es ist keine Stimmung des Rette-sich-wer-kann, es ist: Rette sich, wer kann. Die Männer, die sich dort auf der Straße über den Lkw- Reifen streiten, brauchen ihn, weil sie damit ein Floß bauen wollen. Und die Nachbarin, die eben gefragt hat, ob ich nicht noch Leinenwäsche für sie hätte – auch das ist für eine balsa, ein Floß, um abzuhauen. Und es ist verrückt, aber bis vor vier Wochen war „illegale Flucht“ ja eine Straftat. Es gibt immer noch Leute, die deswegen im Gefängnis sitzen. Wegen diesem Gesetz sind balseros gestorben, und wegen diesem Gesetz sind Polizisten gestorben, die versucht hatten, sie an der Flucht zu hindern. Dazu kommt, daß das Gesetz immer noch existiert, es ist nicht aufgehoben worden, sondern es gibt nur den Befehl, das Gesetz zu ignorieren. Das ist einfach Willkür. Wofür ist nun also der Polizist gestorben, der versucht hatte, Recht und Ordnung zu verteidigen?

Sie haben sich immer als Teil der Revolution begriffen, obwohl Sie seit bald zehn Jahren Probleme haben, öffentlich auftreten oder überhaupt Ihre Lieder verbreiten zu können. Wie sehen Sie die derzeitige Situation in Kuba?

Es gibt eindeutig mehr Freiheit als früher, das ist einer der Widersprüche der jetzigen Situation. Ich konnte im letzten Monat im kleinen Saal des „Teatro Karl Marx“ 13 Konzerte hintereinander geben, das wäre früher undenkbar gewesen. Ich habe alles gesungen und gesagt, alles, was ich wollte. Sachen, für die ich früher gewaltigen Ärger bekommen hätte. Aber du verwandelst dich dabei auch in einen Papagei: Du gibst den Leuten Trost, bist ein Ventil für ihre Enttäuschungen. Aber was du sagst, verliert den Bezug zur Realität. Ich habe ja kritische Lieder gemacht, weil ich die Hoffnung hatte, sie könnten etwas verbessern helfen, dazu beitragen, daß sich dieses Projekt der Revolution nicht in Richtung Diktatur, sondern immer in Richtung mehr Demokratie bewegt. Jetzt bin ich müde – was zu sagen war, habe ich gesagt. Und wenn nun meine Meinung keinen Einfluß auf die Wirklichkeit hat, dann werde ich sie für mich behalten. Was soll ich noch sagen? Sie reden mit den ausländischen Firmen und mit den Exil-Kubanern, die Dollars haben, aber nicht mit uns Kubanern hier auf der Insel, die keine wirtschaftliche Macht haben. Da gibt es keinen Dialog, kein Einanderzuhören, nichts.

Wie haben Sie die Revolte vom 5. August empfunden, als im Zentrum Havannas Hunderte offen protestierten, als Steine flogen und Scheiben eingeworfen wurden?

Das schlimme ist die Lehre daraus, daß sich nur mit Gewalt etwas ändert. Damit bin ich nicht einverstanden. Danach durften die Leute zwar übers Meer ausreisen. Die Gewalt aber bringt nur neue Gewalt. Die Brigaden mit Knüppeln und Metallstangen, die den Aufruhr am 5. August unterdrückt haben, schaffen neue Gewalt. Da singe ich davon, daß in Kuba der Rechtsstaat kommen möge, und statt dessen wird die Wirklichkeit hier immer gewalttätiger.

Inwieweit ist die jetzige Krise eine ökonomische und inwieweit eine politische?

Das große Problem ist die wirtschaftliche Situation, ohne Frage. Aber die politische Situation verhindert eine Lösung der wirtschaftlichen Probleme. Bei den Reformen sehe ich immer nur Verzögerungen. Noch immer fehlt der Politik jeder Realismus, was die Wirtschaft angeht, es gibt keinerlei Ansätze, in irgendeiner Weise die Produktivität zu erhöhen. Für Arbeit erhält man keinen Gegenwert, der wirtschaftlich relevant wäre. Auf dem Schwarzmarkt, da produzieren die Leute, treiben Handel, tun sie alles, aber der Schwarzmarkt kann keine Fabriken schaffen, die das Land ernähren.

Es stimmt wirklich, für uns Künstler gibt es im Moment mehr Freiheiten, und auch wirtschaftlich gibt es Perspektiven. Wenn man in den Touristen-Hotels auftritt, kann man in Dollars kassieren, und zwar sehr gut. Das ist zwar noch nicht legal, aber viele tun es, und es wird sicher auch bald legalisiert werden. Als Künstler kann man also in das Dollar-Land kommen. Aber das Problem ist eben, daß in Kuba Leute zweier Länder existieren. Viele haben Kuba verlassen, ohne außer Landes gegangen zu sein. Ich will mein Land nicht verlassen, nicht auf einem Floß und auch nicht sonst. Aber das Leben hier ist hart, sehr hart. Ich habe schon Freunde gefragt, was sie denken würden, wenn auch Pedro Luis Ferrer demnächst für die Touristen singen würde.

Sie haben – auch auf Ihrer Deutschland-Tournee Anfang dieses Jahres – immer die Blockade- Politik der USA verurteilt.

Ja, das tue ich auch immer noch. Aber hier in Kuba haben wir die ganze Zeit in Phantasien gelebt, und eine dieser Phantasien sind die USA. Hier gibt es keine Welt, hier gibt es nur die USA. Für die Flüchtlinge gibt es nur die USA, und für die Regierung gibt es nur die USA. Als ob uns niemand sonst Öl und Nahrungsmittel verkaufen würde – wenn wir Geld hätten! Ich habe es so satt, USA, USA, USA. Ich habe manchmal das Gefühl, ich würde schon in den USA leben. Und wenn die Situation, die wir jetzt erleben, eine Sache zeigt, dann, daß wir selbst ganz dringend und ganz ernsthaft unsere eigenen Probleme hier im Land angehen müssen.

Ich habe Ihren unverwüstlichen Optimismus bewundert ...

Ich fühle mich ausgelaugt. Ich habe diesen Prozeß der Revolution angenommen, als meinen begriffen, und ab einem bestimmten Punkt des Bewußtseins versucht, durch meine kritische Kunst versucht, ihn zu verbessern. Ich habe so viel gesagt, wie man sagen kann, wenn man vom guten Willen aller Beteiligten ausgeht. Aber ich fühle meine Fähigkeit verbraucht, mein Körnchen Sand beizutragen. Ich bin Optimist aus dem einzigen Grund, daß ich an das Leben glaube. Und das Leben hält immer die größten Überraschungen parat. Interview: Bert Hoffmann