Pyrrhussieg für Castro im Politpoker mit Clinton

■ Die kubanische Regierung hat mit der erzielten Vereinbarung zwar eine Machtprobe bestanden, aber der Riß durch die Gesellschaft ist tiefer geworden

Fidel Castro präsentiert das Ergebnis der Verhandlungen als Sieg, natürlich. Die Regierung in Havanna hat es in der Tat geschafft, mit der Freigabe der Flucht übers Meer innerhalb von nur einem Monat die Einwanderungspolitik der USA gegenüber Kuba umzustürzen. Aber der Preis dafür war hoch. Während die Regierung sich auf das große Armdrücken mit dem Imperium konzentrierte, hat die Massenflucht die kubanische Gesellschaft tief zerrissen. Es sind viele, die die Flucht Tausender auf seeuntüchtigen Flößen als Tragödie empfunden haben. Doch für sie hat Fidel nie geredet. Es war eine Machtprobe, und die Revolution hat sie bestanden, so das Fazit des Comandante. Die KP-Zeitung Granma spricht von einem „vernünftigen und gerechten Ergebnis“, das „trotz der uralten Differenzen“ zwischen beiden Ländern erreicht worden sei. Bei vielen Kubanern jedoch ist das Vertrauen in die Führung in den vergangenen fünf Wochen weiter geschwunden.

Aber auch auf der internationalen Ebene hat Kuba einen Pyrrhussieg errungen. In New York mußte man sich mit der ungewissen Vertagung jeglicher Gespräche über das Wirtschaftsembargo der USA begnügen. Dabei hat die Insel jetzt mehr Sanktionen gegen sich als vor der Krise. Vom Imageverlust Kubas gar nicht zu reden: Gerade mit dem Versprechen sozialer Stabilität hatte die Regierung Castro in den letzten Jahren immer wieder um das Vertrauen ausländischer Investoren geworben. Und nachdem die Zuckerrohrernte – Kubas traditioneller Devisenbringer Nummer eins – in diesem Jahr so katastrophal ausgefallen ist wie seit den zwanziger Jahren nicht mehr, ist der Tourismus mehr denn je zum Rettungsanker des kubanischen Sozialismus geworden. Die Bilder der kubanischen Boat people haben nun überall zu Stornierungen geführt. Ein Einbruch in der für Kuba so entscheidenden Wintersaison wäre für die Devisenbilanz der Insel verheerend.

Mit der Öffnung der Grenzen habe man keineswegs die US-Regierung unter Druck setzen wollen, hatte Fidel Castro noch vor zehn Tagen im kubanischen Fernsehen beteuert. „Aber auch kein anderes lateinamerikanisches Land verfolgt seine Bürger, nur weil sie emigrieren wollen“ – und das könne man also auch von Kuba nicht verlangen. Schnee von gestern. Der Politpoker ist vorbei, die Flüchtlinge haben ihre Rolle gespielt, die kubanischen Grenztruppen halten wieder die Wacht am Karibischen Meer.

Nach den großen öffentlichen Auftritten in New York ist für die kubanische Diplomatie nun wieder die Zeit diskreter Gespräche angebrochen. Während in New York die Unterschriften unter das Flüchtlingsabkommen gesetzt wurden, traf sich Kubas Außenminister Roberto Robaina bereits mit Vertretern des gemäßigten kubanischen Exils aus Miami – auf neutralem Boden versteht sich, in Madrid. Der prominenteste von ihnen ist Eloy Gutiérrez Menoyo, einst Kommandant in Castros Revolutionsarmee und dann 22 Jahre lang in kubanischen Gefängnissen inhaftiert. Die von ihm angeführte Gruppe „Cambio Cubano“ plädiert im Unterschied zu den Hardlinern des Exils in Miami ausdrücklich für einen friedlichen und ausgehandelten Wandel in Kuba. Neben Menoyo war zu dem Treffen in der spanischen Hauptstadt auch der Kubano-Amerikaner Alfredo Durán angereist, ehemals Chef der Demokratischen Partei im Bundesstaat Florida, sowie Ramón Cernuda, langjähriger Repräsentant der kubanischen Menschenrechtsorganisationen in Miami.

Während die große Konferenz mit Exilvertretern in Havanna vor einigen Monaten eher auf Öffentlichkeitswirksamkeit bedacht war, könnte in dem diskreteren Rahmen des Treffens von Madrid tatsächlich der Anfang von ernsthaften Verhandlungen erfolgen. Eine Zulassung von politischen Parteien in Kuba sei jedoch nicht geplant, unterstrich Außenminister Robaina vor der Presse. Und auch auf niedrigerer Ebene lassen Signale für eine politische Lockerung in Kuba auf sich warten. Ramón Cernuda verkörpert eine Art „Auslandsvertretung“ des kubanischen Menschenrechtlers Elizardo Sánchez. Doch während Robaina sich in Madrid mit gemäßigten Exilpolitikern wie Cernuda trifft, steht der gemäßigte Dissident Elizardo Sánchez auf der Insel weiterhin unter Hausarrest.

Gleichzeitig kündigte Kubas Außenminister in Madrid an, daß die Regierung in Havanna vor weiteren wirtschaftliche Reformschritten stehe. Konkret plane man die Erlaubnis des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten, ließ die Regierung das Ausland wissen. Die kubanische Bevölkerung hingegen hat diese Nachricht noch nicht erfahren, es sei denn über die Sender aus den USA. 1986 waren die nach dem Vorbild der sowjetischen Kolchosmärkte gestrickten „Freien Bauernmärkte“ auf persönliche Intervention Fidel Castros verboten worden. Dem kubanischen Revolutionsführer galten sie als Keimzelle des Kapitalismus, durch die eine vom Staat nicht kontrollierte Händlerschicht entstehen würde. Doch nicht nur die Zuckerrohrernte, sondern auch die Nahrungsmittelproduktion für den einheimischen Konsum brachte ein verheerendes Ergebnis, so daß an einer grundlegenden Änderung der starren Planwirtschaft kaum noch ein Weg vorbei führt. Dennoch wird wohl auch diese Öffnung für Marktmechanismen mit angezogener Handbremse erfolgen. Nach Informationen von Ökonomen in Havanna sollen bei den nun geplanten Agrarmärkten nicht die Bauern selbst ihre Waren verkaufen können, sondern der Staat immer als Zwischenhändler bleiben. Auch die Preise würden einer relativen staatlichen Kontrolle unterliegen, sich allerdings grundsätzlich an Angebot und Nachfrage orientieren. Konkret: sie werden weit über den hochsubventionierten Preisen der immer spärlicher gewordenen Rationierungskarte liegen, aber knapp unter den Preisen des Schwarzmarkts. Bert Hoffmann