Kleiner Klassenunterschied

■ Musikfest: NDR-Sinfoniker mit Zemlinsky und Schumann

Alexander Zemlinskys Wiederentdeckung ist eine langwierige und zähe Angelegenheit, aber zumindest in Hamburg mit Verve betrieben. Nachdem zuletzt Gerd Albrecht wieder einige Kostproben aus dem Oeuvre des Schönberg-Lehrers und -Schwagers eingespielt hat und die Uraufführung seiner Oper König Kandaules noch fest für eine der nächsten Spielzeiten der Hamburg Oper geplant ist, präsentierte das NDR-Sinfonie-Orchester am Sonntag in der Musikhalle Zemlinskys Lyrische Sinfonie. Das 1922/23 nach Gedichten des indischen Literaturnobelpreisträgers Rabindranath Tagore komponierte Werk entpuppte sich – auch in den Händen des Gastdirigenten Claus Peter Flor, der nach einem sehr schlurigen Schumann hier immerhin zu etwas mehr Konzentration fand – als Musik von außergewöhnlicher Farbigkeit und Tiefe.

Die sieben Lieder über Sehnsucht, Verlangen und Liebesleid, von Zemlinsky sinfonisch eingebunden in einen Kontext gemeinsamer Themen und Stimmungen, sind orginell instrumentiert ohne klangstürmerisch zu sein und in einer klugen Balance zwischen rhythmischen Dominanzen, pathetischen melodiösen Ausbrüchen und zerbrechlichem Zartfühlen gestaltet. Das Einfangen von Tagores schlicht-schönen Gedichten in Musik gelingt Zemlinky mit der Lyrik adäquaten Mitteln. Die Vermeidung jeglicher Süßlichkeit und der außerordentlich weit gespannte Bogen der stilistischen Feinsinnigkeit – von mächtiger Klangmalerei zu volkstümlicher Unbekümmertheit – verleiht der Lyrischen Sinfonie den Rang eines wirklich bedeutenden Stückes Musik aus dem 20. Jahrhundert. Gerade im Vergleich zu Dessaus Oratorium, mit dem dieses Musikfest eröffnet wurde und das ähnliche Konstruktions-Prinzipien aufweist, zeigte sich hier ein kleiner Klassenunterschied, der durch die sensible Interpretation von Boje Skovhus und Luba Orgonasova, die abwechselnd sangen, noch hervorgehoben wurden. Till Briegleb