Zweisprachig in Richtung Europa

Inzwischen gibt es neun staatliche Europa-Schulen / Ein gutes Konzept zweisprachigen Unterrichts in Zeiten knapper Kassen, doch die meisten Eltern müssen lange Wege und mangelnde Nachmittagsbetreuung in Kauf nehmen  ■ Von Edith Kresta

Vor den Betonklötzen des Märkischen Viertels liegt die französische Europa-Schule in Reinickendorf. Ein freundlicher Neubau mit Grünanlage und einem Spielplatz zum Toben in der Pause. Afrikanische, libanesische, französische und deutsche Kinder sitzen in der Vorklasse beim gemeinsamen Frühstück. Frischlinge, die gerade erst eingeschult wurden. „Bienvenu“ steht in Großbuchstaben auf der Tafel. „Nicht aus den diplomatischen Kreisen, sondern aus Asybewerberheimen kommen viele der Schüler“, so die Direktorin der Märkischen Grundschule, Gisela Magira. Den Vorwurf, die Europa- Schule sei elitär, kann sie nicht mehr hören. Daß in einem neuen Schulversuch mit dem Ziel der zweisprachigen Erziehung auch etwas investiert werden muß, ist für sie logisch.

Jeweils zur Hälfte sollen die Klassen mit muttersprachlich französischen und muttersprachlich deutschen Kindern besetzt sein. Schließlich sollen sie ja untereinander die jeweils andere Sprache einüben. Und wenn die französische Erzieherin immer wieder betont, daß der „gelbe“ Ball eben „jaune“ ist, geht dies ganz selbstverständlich in den Wortschatz der Berliner Göre ein. So soll Sprache „organisch“ gelernt werden. Eine deutsch- und eine französischsprachige Lehrerin teilen sich den Unterricht für die Europa-Klasse. So erhalten die Schüler beispielsweise im ersten Schuljahr fünf Stunden pro Woche Sachunterricht auf französisch, Mathe gibt es dann auf deutsch. Beides wird von der jeweils muttersprachlichen Lehrerin in den „Trennstunden“ nachbereitet. Lesen und Schreiben lernen die Erstkläßler in ihrer jeweiligen Muttersprache.

Seit drei Jahren läuft der Schulversuch Staatliche Europa-Schule Berlin (SESB). Inzwischen bieten neun Grundschulen zweisprachigen Unterricht: zwei mit englischer, zwei mit französischer, zwei mit spanischer und eine mit italienischer Partnersprache. Ab 1999 sollen den Europa-Schülern zweisprachige Gesamt- bzw. Oberschulen in allen bisher geförderten Sprachen zur Verfügung stehen.

Natürlich überwiegt in einem deutschen Umfeld – und sei es noch so multikulturell gesprenkelt – die deutsche Sprache. Und natürlich melden sich mehr deutschsprachige Kinder als Kinder mit einer fremden Muttersprache für die Klassen der Europa-Schule an. Wohl alle Schulen haben daher einen Überhang interessierter deutscher Eltern.

Mit einer Ausnahme: An der russischen Europa-Schule in Köpenick mußte zunächst einmal für die russische Sprache geworben werden. Die deutschen Schüler dort wollten nach der Wende lieber Englisch als die ehemals aufgezwängte Brudersprache lernen. Inzwischen geht auch für ostsozialisierte Eltern Russisch als Zukunftssprache durch.

Dafür ist es nun schwierig, russischsprechende Kinder zu finden. Dabei könnte es trotz des Abzugs der russischen Soldaten eine breite Nachfrage vor allem seitens der russischen Aussiedler geben. Doch diese scheuen nicht nur den oft weiten Weg von ihrer vorübergehenden Unterkunft in Heimen nach Köpenick, sondern auch die Vertiefung der mitgebrachten russischen Sprache. Sie und ihre Kinder wollen nun entschieden deutsch werden. Der Direktor der Grundschule Köpenick, Dietmar Burghoff, fände es daher sinnvoll, in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Wohnungen für Aussiedler in der näheren Umgebung zur Verfügung zu stellen.

An der Köpenicker Grundschule gibt es offenen Ganztagsunterricht, wie an allen anderen Schulen und Europa-Schulen im Ostteil der Stadt. Ganztagsunterricht sei hier Gewohnheitsrecht, meint Schuldirektor Burghoff. „Diesen abzuschaffen, konnte man sich politisch nicht leisten. Das haben sich die Eltern hier nicht nehmen lassen. Zudem müßte man ja aus den bestehenden Einrichtungen noch mehr Personal entlassen.“ Er versteht allerdings nicht, wie es sich die Eltern im Westen bieten lassen, „selbst mit dem Halbtagsunterricht an den Schulen klarzukommen, ohne auf die Barrikaden zu gehen“. Neben den bestehenden zwei russischsprachigen Europa- Schulen im Ostteil der Stadt wurde nun an der Friedrichshainer Grundschule eine spanische Europa-Klasse eingerichtet. Trotz des unüberbietbaren Vorteils, daß an der Friedrichshainer Grundschule Ganztagsunterricht angeboten wird, waren die Anmeldungen spanischsprechender Kinder gering. In der Schlütergrundschule im Westteil der Stadt, die auch erstmals mit einer spanischen Europa– Klasse startete, waren die Anmeldungen wesentlich zahlreicher. Ob es am Vorurteil gegenüber der Ostpädagogik oder an der weniger zentralen Lage liegt, weiß auch die Oberschulrätin für Europa-Schulen, Dagmar von Lo, nicht zu beantworten. Nun gibt es statt der geplanten zwei Vorschulklassen an der Friedrichshainer Grundschule nur eine.

Weite Wege müssen interessierte Eltern und ihre Kinder für die Europa-Schule ohnehin in Kauf nehmen. Dabei wird nur an den wenigsten Schulen im Westteil der Stadt Nachmittagsbetreuung angeboten. Wenn überhaupt, ist dies ein Zusatzangebot. Die Eltern haben keinerlei Rechtsanspruch darauf. Eigentlich halten alle Experten den Ganztagsunterricht bei diesem ehrgeizigen Versuch aus sprachdidaktischen und praktischen Gründen für äußerst sinnvoll. „Aber“, so Oberschulrätin Dagmar von Lo, „es wurde als elitär bezeichnet, wenn an den Europa-Schulen Ganztagsunterricht eingeführt wird und an anderen Grundschulen nicht.“ Also wurde Ganztagsunterricht von vornherein aus dem Konzept gestrichen.

Schule ist zugeschnitten auf die traditionelle Familie mit zu Hause bleibender Mutter, die das Kind um zwölf abholen kann. Für das spanisch-deutsche Ehepaar, das sein Kind auf die weiter weg liegende Europa-Schule schicken will, ist dann fast ein Zweitwagen nötig. Europa-Schule ist für alle – aber längst nicht alle können sich sowohl den weiten Weg wie auch das mangelnde Betreuungsangebot leisten.

Hier setzt auch die Kritik der bildungspolitischen Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen, Sybille Volkholz, an. Bei der Europa- Schule sei das Prinzip der Wohnortnähe nicht gewährleistet, meint die Ex-Schulsenatorin. Die Kinder müßten unnötig lange Wege zur Schule in Kauf nehmen. Zweisprachigkeit sei gut und schön, doch der Zugang zum Teilsprachunterricht und zur interkulturellen Erziehung müßte allgemein an Grundschulen gefördert werden. Und zwar nicht nur zugunsten der „Weltsprachen“, sondern beispielsweise auch des Türkischunterrichts. Doch dafür gäbe es bislang wenig Gelder.

Sprachkombination Deutsch/Englisch: Charles-Dickens-Grundschule/Charlottenburg, Dickensweg 215, 14055 Berlin, Tel 3005278 und Erich-Kästner-Grundschule/ Zehlendorf, Bachstelzenweg 2/8, 14195 Berlin.

Deutsch/Französisch: Märkische Grundschule/Reinickendorf, Dannenwalder Weg 163/165, 13339 Berlin, 41925212 und Judith-Kerr- Grundschule/Wilmersdorf, Friedrichshaller Str. 13, 14199 Berlin, Tel: 8232063

Deutsch/Russisch: Grundschule/ Köpenick, Stillerzeile 100, 12587 Berlin, Tel: 6455370 und Grundschule/Lichtenberg, Römerweg 120, 10318 Berlin, Tel: 5090147

Deutsch/Spanisch: Grundschule/ Friedrichshain, Straßmannstraße 14, 10249 Berlin und Schlüter- Grundschule/Charlottenburg, Knesebeckstr. 14, 10623 Berlin, Tel: 88436404

Deutsch/Italienisch: Finow-Grundschule/Schöneberg, z.z. Hohenstaufenstraße 49, Tel: 7833175