Zwischen den Stühlen, fern der Töpfe

■ In Saarbrücken wurde über die Bedeutung des Renegaten in der Literatur getagt

Als Peter O. Chotjewitz von Georg K. Glaser aufgefordert wurde, doch endlich den „albernen Hut“ abzunehmen, mit dem er wohl als Literatur-Dandy Karriere machen wollte, war noch nichts zum Thema gesagt. Aber der Seitenhieb berührte doch gleich zu Beginn die zentrale Frage des Saarbrücker Literaturkongresses, der sich mit dem Thema „Die Renegaten der Macht/Die Macht der Renegaten“ beschäftigte.

Mit zwölf Teilnehmern war das Podium hoffnungslos überbesetzt, zudem ging durch die Schar der Diskutanten ein Riß. Chotjewitz etwa, im RAF-Prozeß Wahlverteidiger von Andreas Baader und später für Peter Paul Zahl sowie Autor sozialkritischer Romane und dokumentarischer Features, zog zwar sofort seinen Hut, in der Folge machte er allerdings ebenso deutlich, daß er heute wohl zu allem bereit ist – selbst zur Teilnahme an Diskussionen, die er für sinnlos hält –, wenn nur die Kasse stimmt. Eine Haltung, weit entfernt von der des zeitgeschichtlich gegerbten Georg K. Glaser, Autor von „Geheimnis und Gewalt“ und selbst ein Renegat, der im Widerstand gegen Hitler knapp dem Tod entrann; und auch weit entfernt von Joachim Walther, der in der Endphase der DDR mit seinem Rückzug in die mecklenburgische Provinz Renegatentum praktizierte, bevor er sich als letzter stellvertretender Vorsitzender des Schriftstellerverbandes der DDR für dessen konsequente Erneuerung einsetzte. Klüfte klafften, auch zum Regisseur B. K. Tragelehn, der in gewohnter Brecht-Manier wie ein Buddha hinter Zigarrenqualm thronte, trotzdem aber noch im weiten Halbrund des Podiums die Witterung von moralischen Zeigefingern aufnehmen konnte, während die junge, in der DDR aufgewachsene Kerstin Hensel, von der gerade eine neue Erzählung erschienen ist, behauptete, sie habe keine gefestigte Meinung und könne sich folglich auch nicht von etwas abwenden oder einer Sache verweigern. Schlechte Ausgangsposition für eine Diskussion, obwohl mit der Vorstellung der ersten drei Bände der Gustav- Regler-Werkausgabe durch Verleger K. D. Wolff vom Frankfurter Verlag Stroemfeld/Roter Stern das historische Beispiel des Renegaten schlechthin angesprochen wurde. Regler gehörte in den dreißiger Jahren zu den Kommunisten, die begeistert die nachrevolutionäre Sowjetunion bereisten, gestand sich im Gegensatz zu anderen jedoch sehr schnell ein, daß er über vieles hinweggesehen hatte, was nicht seiner sozialistischen Utopie entsprach. In der Folge setzte er sich zwischen alle Stühle, bekam als Kommunist keine Aufenthaltsgenehmigung in den USA, während seine Bücher aufgrund seiner

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Kritik an der Sowjetunion von keinem der Verlage publiziert wurden, die für ihn in Frage gekommen wären. Er blieb ein integrer kommunistischer Utopist, im mexikanischen Exil und fern aller Geldtöpfe.

Klar war, daß sich die Frage nach Renegatentum heute anders stellt. Ob man jedoch wie der freie Publizist Friedrich Dieckmann den Abtrünnigen nur in der Opernliteratur suchen sollte, ist mehr als fraglich. Interessanter wäre der Blick auf das Zentraleuropa nach dem Fall der Mauer gewesen, wo der demokratisch abgefederte und marktwirtschaftlich geforderte Schriftsteller es anscheinend dabei bewenden lassen kann, Solidarität mit Salman Rushdie und Taslima Nasrin zu bekunden, die durch den religiösen Fundamentalismus sehr konkret ins Renegatentum getrieben wurden. Um Leben und Tod geht es in der Marktwirtschaft zwar nicht mehr, wohl aber um intellektuelle Lauterkeit versus Korrumpierbarkeit, um Verweigerung versus Mitläufertum. Fragestellungen wie diese allerdings umschlich das Podium eher; als dann doch gezielter darauf zugesteuert wurde, hatte man sich mit begrifflichen Klärungen und der Abgrenzung des Renegaten vom Dissidenten und Ketzer bereits zeitlich verausgabt. Ein Bestimmungsmerkmal jedoch war unstrittig. Der Renegat sieht genau hin und läßt sich nicht durch Ideologien und Verlockungen der Machtteilhabe korrumpieren. Der Verleger Christoph Links, in der DDR für kurze Zeit politischer Redakteur der Berliner Zeitung, fragte als einer der wenigen, ob Haltungen (auch im Journalismus) tatsächlich obsolet geworden seien, während Joachim Walther insistierte, die Korrumpierbarkeit von Schriftstellern sei kein welthistorisches Faktum und es gebe auch heute „eine höhere Verantwortung jenseits der Ideologien“. Was gemeint sein könnte, demonstrierte die derzeitige Generalsekretärin des PEN-Zentrums der BRD, Christa Dericum, als Chotjewitz auf seine Rolle im westdeutschen Schriftstellerverband angesprochen wurde, als er ihn noch zusammen mit Bernt Engelmann leitete. Chotjewitz verweigerte genau das, was heute von jedem ehemaligen DDR-Autor verlangt wird: darüber nachzudenken, ob man sich nicht doch instrumentalisieren oder gar korrumpieren ließ. Als er statt dessen schwadronierte, fuhr Christa Dericum ihm in die Parade – und erschrak etwas über die eigene Courage. Jürgen Berger