Und plötzlich war es eine Angeklagte zuviel

■ Skinhead-Prozeß unterbrochen, weil eine fehlende Angeklagte auftauchte

Magdeburg (taz) – Kaum hatte er begonnen, war gestern der zweite Verhandlungstag im Prozeß gegen eine Gruppe von Skinheads vor dem Jugendschöffengericht in Magdeburg schon wieder vorbei. Auf der Anklagebank saß unverhofft eine Angeklagte zuviel. Annette S., die am ersten Verhandlungstag in der vergangenen Woche unentschuldigt gefehlt hatte, stand gestern plötzlich doch vor ihrer Richterin. Dafür fehlte nun ihre Verteidigerin, die am Mittwoch vergeblich auf S. gewartet hatte.

Keine Anwältin, kein Prozeß – nach einer knappen halben Stunde beendete das Gericht den gestrigen zweiten Verhandlungstag und hob die zuvor beschlossene Abtrennung des Verfahrens gegen S. auf. Die Zeugen wurden wieder nach Hause geschickt, und Annette S. wurde aufgetragen, da sie schon mal in Magdeburg sei, könne sie sich doch endlich mal mit ihrer Pflichtverteidigerin in Verbindung setzen. Das hat die Angeklagte bislang noch nicht für nötig gehalten. Die Briefe der Anwältin an ihre Mandantin kamen stets ungeöffnet zurück.

Den jetzt wieder fünf Angeklagten wird eine ganze Serie von ausländerfeindlichen und rechtsexremistischen Gewalttaten im Sommer 1991 vorgeworfen. Dabei wurde ein Punk so brutal zusammengeschlagen, daß er im Krankenhaus mehrfach wiederbelebt werden mußte. Ein türkischer Blumenverkäufer wurde bei einem anderen Überfall, vermutlich durch das Geschoß einer Leuchtpistole, in Brand gesetzt und erlitt ebenfalls lebensgefährliche Verletzungen.

Die Nebenklagevertreter übten bereits im Vorfeld dieses Prozesses heftige Kritik an den polizeilichen Ermittlungen, die ihrer Ansicht nach ausgesprochen schlampig geführt wurden. So wurde zum Beispiel die Kleidung des in Brand gesetzten Türken nie kriminaltechnisch untersucht, so daß noch heute nicht restlos klar ist, wie er in Brand gesetzt wurde. Um am zweiten Verhandlungstag überhaupt etwas getan zu haben, ordnete das Gericht gestern an, daß diese Untersuchungen im Landeskriminalamt jetzt unverzüglich nachgeholt werden.

Eberhard Löblich