Herber Rückschlag, kleine Dissonanzen

■ Über die Pressekonfernz von Bündnis 90/Die Grünen in Bonn

Ludger Volmer hat den Ernst der Lage wohl erkannt. Das Debakel in Sachsen und Brandenburg könnte die „Saat verhageln“, warnte der Vorstandssprecher der Bündnisgrünen, falls nicht entschieden gegengesteuert werde. Und auch Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle ist sich sicher: „Wir können nicht so weitermachen wie bisher.“ Seit Sonntag, als das Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg und Sachsen an der Fünfprozenthürde hängenblieb, sind die Obergrünen aufgeschreckt. Der „herbe Rückschlag“ kündigt dauerhaftes Unheil an, denn der Niedergang in Ostdeutschland, der sich bereits in Sachsen-Anhalt und der Europawahl abzeichnete, ist mehr als bedrohlich. Einig sind sich alle darin, daß die Partei in den neuen Bundesländern nur über eine schwache Basis verfügt. Im ganzen Osten gibt es gerade so viele Mitglieder wie in einem durchschnittlichen westlichen Landesverband.

Doch das allein kann keine Entschuldigung sein. So wollten Ludger Volmer und Heide Rühle gestern den Zustand ihrer ostdeutschen Landesverbände auch nicht weiter beschönigen: Dort brauche es einen „Neuanfang in der öffentlichen Darstellung“, analysierten die beiden, bisher sei man zu stark in „moralisierender Weise auf die Vergangenheit fixiert“ gewesen und habe vor allem „die sozialen und arbeitsmarktpolitischen Fragen nicht genügend betont“.

Das freilich wollte Marianne Birthler nicht ganz unwidersprochen stehenlassen: Daß das Thema Vergangenheitsbewältung zu sehr besetzt werde, so die Vorstandssprecherin, decke sich nicht mit ihren Erfahrungen. Aber auch Birthler gestand ein, daß die Partei im Osten nicht mehr, wie noch vor zwei Jahren, als die Bürgerpartei der Wende gewählt werde. Gleichzeitig fänden die originären Themen der Grünen wie etwa Ökologie dort nicht denselben Widerhall wie im Westen.

Die kleinen Dissonanzen machten deutlich, daß die ohnehin problemgeladene Verschmelzung von Bündnis 90 und Grünen noch lange nicht abgeschlossen ist. Für Marianne Birthler, die beklagt, die Partei werde zunehmend als West- Partei wahrgenommen, geht es nun darum, „daß die ostdeutschen Landesverbände nicht an die Wand gedrängt werden“. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß gerade die Ost- Gruppierungen entscheidende Fehler begangen haben. Die Spaltung in Brandenburg war selbst für Nahestehende nicht zu vermitteln, und auch die Koalitionsaussage zugunsten der SPD stand in krassem Widerspruch zu der scharfen Kritik an der Person Stolpes. Noch mehr schlug der sächsische Flirt mit der dortigen CDU ein. „Nur irgendwie mitmischen, das kann nicht unser Ziel sein“, so Volmer, schließlich habe der Bundesvorstand „ausdrücklich davor gewarnt, diese Fragestellung allzuweit zu treiben“. Die Analyse der Forschungsgruppe Wahlen gibt ihm recht: Die Liebelei mit Biedenkopf habe bei der Klientel für Irritationen gesorgt und eine Mobilisierung potentieller Wähler beeinträchtigt.

Nun müssen die Stimmen erst einmal im Westen gesammelt werden. „Wir wollen die Regierung Kohl ablösen“, gibt Ludger Volmer als Parole aus, „wer Rot-Grün will, muß grün wählen – vor allem als Zweitstimme“. Erwin Single, Bonn