Digitale Hanseaten

Hamburg spurtet auf den Datenhighway  ■ Von Ulla Küspert

Der kleine Stadtstaat Hamburg will unbedingt Mediengeschichte schreiben, möglichst weltweit. Vergangenen Freitag einigte man sich an der Elbe auf die Endfassung des GmbH-Vertrages für eine Projekt-Management-Gesellschaft Digitales Fernsehen Hamburg. „Um dem Medienstandort Hamburg einen Wettbewerbsvorteil vor konkurrierenden Städten wie Berlin, München, Köln und Stuttgart zu verschaffen“, soll die neue Management-Gesellschaft schnellstens das allererste Pilotprojekt mit einem allumfassenden interaktionsfähigen Fernseh- und Service-Programm-Bouquet für voraussichtlich 1.000 Testhaushalte etablieren. Die 400.000 Mark Stammkapital wollen die zwölf Gesellschafter, darunter Bertelsmann, der NDR, die Telekom, der Bauer Verlag und der Otto-Versand, paritätisch aufbringen.

Mit einem „richtigen Rundum- Programm“, schwärmt Hartwig Plath, als Abteilungsleiter Medienwirtschaft der Hamburger Handelskammer bisher „Moderator“ des Projekts, könnte man gar die gut zwei Dutzend Interaktiv-Probeläufe in den USA und Kanada ausstechen, weil sie jeweils nur vergleichsweise simple Teilaspekte böten oder – wie etwa das „Full Service Network“ von Time/Warner in Orlando – nicht aus den Startlöchern kämen.

Den zur Jahreswende avisierten Miniversuch mit 50 Berliner Haushalten nimmt man an der Elbe als „Showcase“ nicht ernst. Und auch einer anderen deutschen Probefahrt auf der Datenautobahn, zu der im nächsten Jahr 4.000 Haushalte und Betriebe im Großraum Stuttgart animiert werden sollen, sehen die Hanseaten gelassen entgegen. Obwohl der baden-württembergische Wirtschaftsminister Dieter Spöri (SPD) die Probe aufs Zukunftsfernsehen im Ländle nicht nur pressewirksam zum „europaweit größten Multimedia-Pilotprojekt“ hochlobte, sondern auch noch, wie Platz weiß, zehn Millionen an Steuergeldern „losgeeist“ hat. In Stuttgart sollen die Konsumenten Filme, Lernprogramme und Telespiele anklicken sowie Waren einkaufen, Betriebe sollen Videokonferenzen, den Computerarbeitsplatz zu Hause und Fernreparatur ausprobieren.

In Hamburg dagegen werden nicht nur sämtliche über Kabel und Satellit verbreiteten TV-Programme, teils ergänzt um interaktive Dienste, abrufbar sein. Die Gesellschaftersender wollen zusätzliche Formate produzieren und über einen gemeinsamen Programm-Pool austeilen. Darüber hinaus gibt es „Teleshopping“ (vom Otto-Versand zum Beispiel) „Telebanking“ (etwa mit der Hamburger Sparkasse) und „Teleticketing“ (elektronischer Fahrkartenkauf). Hinzu kommt jede Menge „electronic publishing“ (Bildschirm-Zeitschriften der in Hamburg ansässigen Verlagsriesen Springer, Bauer und Gruner + Jahr), Reise- und Lern-TV sowie Videospiele. Verkaufsphilosophie: Um Konsumenten zu gewinnen, muß „Zusatznutzen“ her.

Vor Jahresfrist bereits hatte die Hamburger Handelskammer damit begonnen, alle Institutionen, die „ein Interesse an elektronischen Medien haben müssen“, zum Pilotprojekt zusammenzulocken. Zum Frommen der hanseatischen Wirtschaft sieht Medienspezi Plath dafür auch noch in Brüssel Bargeld lachen: Die EU, so sagt er, habe für den Bau der europäischen Datenautobahn eigens ein Programm aufgelegt und mit umgerechnet sieben Milliarden Mark ausgestattet. Da lohnt sich die Mühe doppelt, denn die Hamburger Teststrecke soll hernach „in den Regelbetrieb überführt“ und bundesweit angeboten werden. So hatten sich bald an die 40 Interessenten eingefunden – von den Technologiekonzernen Philips und Grundig über die Videoproduktionsfirma VAP des polnischen Selfmademan Richard Kunicki, der sich an der Elbe ebenso oft wie erfolglos um eine Sendelizenz bemühte und nun an einem interaktiven Programm namens „Live TV“ bastelt; von den Verlagsriesen Springer, Bauer und Gruner + Jahr, den öffentlich- rechtlichen Sendern NDR und ZDF, den Privatkanälen premiere, RTL, RTL 2, Sat.1 und „Hamburg 1“ bis hin zu vielen „Noch- nicht-Medien“-Unternehmen der verschiedensten Branchen.

18 Monate lang will man mit dem Modellversuch vor allem „Akzeptanz ermitteln“ und selbige für zwei bis drei Millionen Mark von Marktforschern analysieren lassen. Preise sollen getestet werden, Datenkompression, Übertragungs- und Empfangstechniken, Decodier- und Abrechnungssysteme für diverse Pay-TV-Formen sollen erprobt und ausgefeilt werden. Wegen letzerem sind Bertelsmann, Kirch und die Telekom schärfstens daran interessiert, ihre Datenautobahn-Gesellschaft Media Service ins Geschäft zu bringen. Doch die ist kartellrechtlich bisher nicht genehmigt, eine Entscheidung erwartet die Telekom nicht vor November. Auch die Hamburgische Anstalt für neue Medien, HAM, hat noch nicht gesprochen. HAM-Justitiar Lothar Jene: „Erst mal muß ein Lizenzantrag bei uns auf dem Tisch liegen. Wenn wir den rundfunkrechtlich abgeklopft haben, wird man sehen, ob das geht oder nicht.“