■ Interview zum Ende der Konferenz von Kairo
: „Ein Schritt nach vorn“

Sonja Montagna (41) hat in der jetzigen bolivianischen Regierung das Amt einer Staatssekretärin für Frauenfragen inne. Sie ist Mitglied der bolivianischen Regierungsdelegation auf der Bevölkerungskonferenz in Kairo. Die Feministin war Gründerin des „Frauenzentrums für Information und Entwicklung“, einer Nichtregierungsorganisation, in der sie zehn Jahre lang arbeitete.

taz: Wie beurteilen Sie die Ergebnisse dieser Weltbevölkerungskonferenz für die Frauen?

Sonja Montagna: Es ist das erste Mal, daß eine Bevölkerungskonferenz die Frage der reproduktiven Rechte von Frauen mit einbezogen hat. Bisher hat man sich dort mit bestimmten Aspekten von Bevölkerungspolitik wie Sexualität und Reproduktion nicht auseinandergesetzt. Das Ergebnis der Konferenz ist nicht auf der ganzen Linie befriedigend, und es bleibt noch viel zum Verhandeln über. Aber: Frauen haben gelernt zu verhandeln – und ihre individuellen Rechte stehen das erste Mal auf der Tagesordnung der Weltgemeinschaft.

Können Sie diese positive Bewertung bitte etwas präzisieren?

Das Kairoer Aktionsprogramm unterscheidet zwischen reproduktiven und sexuellen Rechten. Es wurde zugegeben, daß Frauen in verschiedenen Kulturen sexuelle Rechte haben, die nicht direkt mit dem Kinderkriegen in Verbindung stehen. Das hat Konsequenzen für die Politik. Wenn wir nur von reproduktiven Rechten sprechen, dann können wir eine Regierung dazu bringen, ein gutes Gesundheitssystem für schwangere Frauen aufzubauen. Wenn wir aber auch von sexuellen Rechten sprechen, dann muß auch mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet werden. Dann muß man sich nicht nur mit den Ergebnissen des Kinderkriegens auseinandersetzen, sondern auch über Dinge wie Aids und ähnliches sprechen. Mit diesem Dokument können wir unsere Regierungen dazu veranlassen, sich um Sexualerziehung zu kümmern. Dann würde die Sexualität etwas weniger Verbotenes werden. Außerdem wurden in diesem Aktionsprogramm verschiedene Formen der Familie anerkannt. Viele Länder, einschließlich meines eigenen, sprechen immer nur von der Familie. Man wird blind gegenüber dem, was in ihrem Innern geschieht. Wenn ein Mann eine Frau oder seine Kinder schlägt oder vergewaltigt, dann darf darüber nicht geredet werden, weil die Familie verteidigt werden muß. Wenn wir von verschiedenen Formen der Familie sprechen, dann erkennen wir auch an, daß eine Frau, die ohne Mann zwei Kinder erzieht, auch eine Familie darstellt. In Bolivien sind ein Viertel der Frauen Alleinerziehende. In der offiziellen Sprachregelung werden diese Frauen, die Kinder erziehen, ein Einkommen haben, Werte und Wissen weitergeben, als „unvollständige Familie“ dargestellt. Diese Frauen sollen als Bürgerinnen und nicht als „Behinderte“ angesehen werden. In einer bolivianischen Studie kam sogar heraus, daß Kinder alleinerziehender Mütter mehr zur Schule gehen als andere Kinder.

Was denken Sie über den Kompromiß zum Thema Abtreibung?

Er ist sicherlich nicht perfekt. Die ganze Sprache des Dokumentes ist vieldeutig. Aber es ist ein Schritt nach vorne. Es erkennt an, daß Abtreibung soziale Wurzeln hat. Bolivien zum Beispiel hat die höchste Müttersterblichkeit in ganz Südamerika. Ein Drittel davon resultiert aus Abtreibungen. Wollen Sie alle diese Tausende von Frauen einsperren?

Wird das Papier irgend etwas für diese Frauen verändern?

Nur wenn soziale und politische Institutionen sich darauf berufen. Eine solche Konferenz ist für die meisten Menschen zu abgehoben und bürokratisch. Engagierte Menschen in der Zivilgesellschaft müssen anhand des Papiers ihre Regierungen zur Rechenschaft ziehen. Mein vorgesetzter Minister hat auf dieser Konferenz gesagt, Familienplanung sei ein Menschenrecht. In unseren Gesetzen steht so etwas nicht. Wenn ich jetzt zurückgehe, dann werde ich eine Veränderung des Familien-, Zivil- und Gesundheitsgesetzes verlangen, um dort das Recht auf Familienplanung festzuschreiben. Dabei kann ich mit dem Kairoer Papier argumentieren. Es wird uns helfen, Gesetze und Politik zu verändern. In Kapitel 4 heißt es schließlich, man wolle „Frauen mehr Macht geben“ (to empower women). Sie müssen an den Entscheidungen beteiligt werden. Es gibt viele solcher Beispiele in dem neuen Dokument.

Wer in der letzten Woche die hiesigen Diskussionen verfolgte, der mußte doch aber den Eindruck bekommen, es handle sich bei der Kairo-Konferenz nur um eine Konferenz zum Thema Abtreibung.

Die Aufmerksamkeit, die der Frage der Abtreibung gewidmet wurde, war übertrieben. Das hat mit einigen Delegationen zu tun, die nicht hierhergekommen sind, um zu verhandeln. Die meisten Länder stimmten dem ersten Kompromißvorschlag zu. Einige wenige haben es boykottiert. Das ist kein demokratisches Diskutieren. Daher haben wir 80 Prozent der Zeit mit dem Thema Abtreibung verbracht. Andere Dinge sind dabei untergegangen. Zum Beispiel die für den Norden sehr delikate Frage der Migration und des Rechtes auf Familienzusammenführung. Da wurde sehr scharf der Nord-Süd-Konflikt deutlich. Immer drängen die USA alle anderen Länder, ihre Position zu unterstützen, aber wenn sie umgekehrt irgend etwas für den Süden tun sollen, verhalten sie sich sehr arrogant. Sie machen keine Zugeständnisse in Fragen, die genauso wichtig sind wie Abtreibung.

Viele Menschen aus dem Süden haben sich auf der Konferenz beschwert, daß die Frage der Entwicklung wieder einmal auf der Strecke geblieben sei.

Das Konsumverhalten des Nordens wurde nicht wirklich in Frage gestellt. Der Norden will, daß wir im Süden weniger wachsen und daß wir vorsichtig mit unseren ökologischen Gütern umgehen. Aber sie essen mehrere Hamburger pro Tag, während wir nur ein Stück Brot bekommen. Andere Entwicklungsfragen wie Ausbildung, Gesundheit und etliche andere soziale Themen wurden jedoch diskutiert. Wir sehen eine Veränderung im Paradigma der Entwicklung. In der Vergangenheit hat man nur über makroökonomische Aspekte gesprochen. Nun sprechen wir von Entwicklung in einem sozialen Zusammenhang.

Ich bin jedoch geteilt in dieser Frage. Einerseits finde ich es wichtig, daß Abtreibung, reproduktive Gesundheit und Sexualität als Teil vom Entwicklungsprozeß gesehen werden. Auf der anderen Seite muß aber auch betont werden, daß alles innerhalb eines Rahmens nachhaltiger Entwicklung („sustainable development“) zu geschehen hat.

Glauben Sie, daß es jemals möglich sein wird, in einem derart wichtigen Punkt wie dem Konsumverhalten des Nordens zu einer Einigung zu kommen?

Vor zehn Jahren konnte sich niemand vorstellen, daß es eine Weltkonferenz geben würde, auf der über reproduktive Rechte gesprochen wird! Ich habe lange unter einer Diktatur gelebt und habe gelernt, demokratische Methoden zu schätzen, auch wenn sie manchmal teuer und uneffektiv erscheinen. Wenn wir über nachhaltige Entwicklung sprechen, dann kann das nur heißen, daß man nicht nur die zukünftigen Generationen in den eigenen Gesellschaften berücksichtigt, sondern auch die Generationen, die nicht in den eigenen Ländern leben werden. Tun wir dies nicht, wird es Krieg geben, und das würde mir gar nicht gefallen. Interview: Karim El-Gawhary