Münchhausen im Sumpf von Goma

Auch die zweite Gruppe freiwilliger Care-HelferInnen in Ruanda fühlt sich von ihrem Chef Nöldner verschaukelt und legt sich mit ihm an / Vor Ort erwartete sie organisatorisches Chaos  ■ Aus Goma Michael Rediske

„Wir brauchen anständiges Verbandsmaterial. Mit Blättern geht's nicht mehr, die Flüchtlinge haben doch alles abgeholzt.“ Antje Weinert kommt richtig in Fahrt, der Beifall der anderen hundert Care-Freiwilligen beflügelt sie. „Was haben wir bekommen? Alte steife Binden. Verbandsmaterial, verschweißt mit allem möglichen Zeug, das wir nicht brauchen.“ Antje Weinert verwaltet die Apotheke, mit der Ärzte, Schwestern und Pfleger von Care Deutschland die Flüchtlinge um Goma versorgen. Wer hat bloß die Tupfer einzupacken vergessen, das Tavarit gegen blutige Durchfallerkrankungen? Und wer ist auf die Idee gekommen, daß wir 1,2 Tonnen Hustensaft brauchen? War die Kritik der ersten Gruppe von Freiwilligen nicht deutlich genug?

Der in fast zwei Wochen Arbeit aufgestaute Unmut entlädt sich am geeigneten Objekt. Klaus Nöldner, Chef von Care Deutschland, ist nach Goma eingeflogen worden, um mit dem UNHCR zu verhandeln. Dessen koordinierende Rolle für die rund 70 Hilfsorganisationen in den Lagern hatte die Führungsebene in der Bonner Care-Zentrale bis dahin geflissentlich übersehen. Am Abend dann kommt er ins Camp der Freiwilligen und stellt sich der Kritik. Die Helfer sind guter Laune, mit ihrer eigenen Arbeit zufrieden, sie hatten, anders als ihre Vorgänger von der ersten Gruppe, schließlich mit 15 Teams mehr als genug Patienten. Aber auf den Boß aus Bonn haben sie trotzdem soviel Braß, daß einige (und nicht etwa Ossis) ihn mit der Nationalhymne der verflossenen DDR begrüßen.

„Wir haben uns hier wie Münchhausen selbst am Schopf aus dem Sumpf gezogen“, sagt schimpfend und stolz zugleich Jochen Kliebisch, OP-Pfleger aus Lüdenscheid. Die erste Gruppe hatte zum Teil keine Arbeit, die zweite hat sie sich selbst gesucht, auch für sie war kaum etwas vorbereitet. „Unser Team hat entlang der Straße am Flüchtlingslager Mugunga ein geeignetes Steinhaus gefunden“, berichtet Axel Dübner. „Daneben saßen Patienten, die schon auf uns warteten. Zufällig hatte ein Team der letzten Care- Truppe hier gearbeitet. Davon wußten wir aber nichts.“ Daß alle zwei Wochen eine Flugzeugladung Freiwilliger ankommt und die Übergabe lediglich auf dem Flughafen stattfindet, wird von den Medizinern heftig kritisiert. Warum wechselt man nicht im Wochenrhythmus jeweils die Hälfte aus? Warum gibt es immer noch kein festes Leitungsteam, das für Kontinuität sorgt?

Care-Chef ist von seiner Mission völlig überzeugt

Wenig Antworten hat der aus Bonn Angereiste zu bieten. Ein Führungsteam werde es bald geben, von der absurden Zusammenstellung der Apotheke wußte er nichts. „Ich bin kein Arzt, bei uns gibt es Arbeitsteilung“, im übrigen werde man alle Vorschläge prüfen. Gleich Helmut Kohl, der gern zugibt, sich vor vier Jahren einmal geirrt zu haben, möchte er es gern dabei belassen, daß es „mit der ersten Gruppe etwas unglücklich verlaufen ist“. Und wie sein Freund, der Kanzler, weiß er auch: „Es sind meist Journalisten, die uns da Schwierigkeiten bereitet haben.“ Von seiner Mission ist er schließlich völlig überzeugt. „Wir haben noch 7.200 Anmeldungen, darunter 2.500 Ärzte. Nur mit dem Geld hapert es etwas.“ Wohl wegen des schlechten Images in Deutschland. 7,8 Millionen Mark hat man ausgegeben, nur 1,3 Millionen an Spenden eingenommen. Jetzt müsse, sagt Nöldner, „der Umschwung eingeleitet werden“. Und da setzt er ganz auf die Mediziner, die zwei Wochen von ihrem Urlaub für die Arbeit mit den Flüchtlingen drangeben. „Sie sind“, schmeichelt er den HelferInnen, „der Beginn einer neuen Truppe für Notfälle in der Welt.“ Überwältigend, eindrucksvoll, Einsatzbereitschaft, Aufopferungsbereitschaft – gar nicht genug der lobenden Worte kann er finden.

Doch ganz so leicht lassen sich die Freiwilligen nicht einwickeln. „Politikergeschwafel“, tönt es von den hinteren Bänken. Die Kontakte zu den anderen Organisationen seien sehr gut, alle seien bereit, mit Care Deutschland zusammenzuarbeiten, das habe ihnen Nöldner bei der Verabschiedung versprochen. Das Gegenteil haben sie erfahren. „Man hat uns am Anfang unmißverständlich klargemacht, daß wir hier unerwünscht sind“, faßt Peter Kaiser die Lage zusammen. Den Tropenmediziner nennt man im Lager den „heimlichen Chef“; wen man auch fragt, alle meinen, sie haben es ihm zu verdanken, daß die große Gruppe mit UNHCR und den anderen Organisationen in der kurzen Zeit einigermaßen zu Rande kam.

Um so mehr sind sie beunruhigt, daß sich Nöldner an diesem Tag wieder mit dem Chef des UNHCR, Filippo Grandi, angelegt hat. Nöldner spricht zunächst von „persönlichen“ Querelen, die er nicht offenlegen wolle. Es gibt aber noch anderen Grund zum Streit. Der UNHCR hält die Zweiwocheneinsätze für zu kurz. Während andere Organisationen darauf setzen, mit wenigen, aber erfahrenen Ärzten allmählich ruandische GesundheitsarbeiterInnen in den Lagern zu suchen und neue auszubilden, setzt Nöldner weiter auf „kurzfristige akute Nothilfe“. Strukturhilfe sei derzeit „die falsche Politik des UNHCR“. Zum ersten Mal bekommt er Beifall von vielen der Freiwilligen. Sie sind mit ihrer selbstorganisierten Arbeit zufrieden. Renate Arnold, Professorin an der Uniklinik Ulm, rechnet vor: „Unser Viererteam hat in zwei Wochen etwa 3.000 Patienten gehabt. Ich schätze, daß die Hilfe in etwa einem Prozent der Fälle das Überleben gesichert hat, das waren dann 30 Menschenleben.“