Die ganze Welt am Draht

MultiKulti-Radio des SFB geht am kommenden Sonntag auf Sendung / Das europaweit einzigartige Medienexperiment wird in 16 Sprachen ausgestrahlt  ■ Von Frank Kempe

Der schaurige Beitrag über den „Nazi-Park in Thailand“ ist erst vor drei Minuten über den Äther gegangen, da wird Sergio di Fusco auch schon ungeduldig: „Wann kommt Bombay?“ fragt der Moderator den Techniker im Regieraum. „In 40 Sekunden, nur keine Panik“, antwortet der Mann an dem Pult mit den vielen Knöpfen und Reglern. Der Italiener hinter der Glasscheibe nickt kurz, setzt den Kopfhörer auf und legt sein Manuskript mit den einleitenden Worten für den Bericht über Indiens Filmindustrie zurecht. Dann geht alles blitzschnell: Nach dem Ausblenden der lateinamerikanischen Klänge ist di Fusco „on air“, solange bis der Techniker auf sein Handzeichen hin die Bandmaschine startet.

Trockenübungen für ein europaweit einzigartiges Medienexperiment mit öffentlich-rechtlichem Integrationsauftrag: Seit Montag proben di Fusco und knapp zwei Dutzend junge Radiomacher in Bürocontainern am Haus der Kulturen der Welt den Ethnofunk. Der Sender Freies Berlin (SFB) schickt am Sonntag um Punkt 19.45 Uhr per Knopfdruck seine MultiKulti-Welle in den Berliner Äther. Wer dann auf der UKW- Skala die Frequenz 106,8 Megahertz einstellt, hat die ganze Welt am Draht. Die acht deutschen und ausländischen Macher von SFB 4 MultiKulti versorgen ihre Hörer täglich 24 Stunden nonstop mit Weltmusik und Lokalnachrichten aus Berlin sowie Informationen aus den entferntesten Zipfeln der Erde.

Die kunterbunte Antwort auf den geklonten Dudelfunk in der Hauptstadt wird in 16 Sprachen ausgestrahlt – von Albanisch bis Vietnamesisch. Die Tagesbegleitsprache jedoch wird Deutsch sein, sagt Redakteur Jürgen Wiebicke, verantwortlich für das Morgenmagazin „Früh-Stück“. Zu jeder vollen Stunde werde der Kanal Weltnachrichten senden, die Korrespondenten von BBC und Deutscher Welle der Station zuliefern. In den Abendstunden können Ausländer am Radioapparat zusätzlich Deutsch lernen, nachts werden Konzertmitschnitte und Sendungen anderer europäischer Kanäle in der jeweiligen Originalsprache übertragen.

Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und mangelndes Verständnis zwischen deutschen und ausländischen Berlinern – genau da will der Sender dazwischenfunken. Auch mit seinem musikalischen Repertoire: In Sendungen wie „Café Olé“ oder „Oase“ wird nur „World music“ gespielt, ob nun Samba aus Brasilien, Raggamuffin aus Jamaika oder Trommelklänge aus Simbabwe. Ausgeblendet dagegen bleibt die anglo-amerikanische Rock- und Popmusik. Auf 106,8 MHz sei nicht eine Minute Sendeplatz für die ewigen MTV-Helden und internationalen Hitparadenstürmer, verspricht Redakteur Wiebicke.

„Das wird keine experimentelle Exotennummer“, sagt SFB-Hörfunkdirektor Jens Wendland, der mit der ungewöhnlichen Radiokost Ausländer wie Deutsche an die Transistoren locken will. Voraussetzung für ein friedliches Miteinander seien in erster Linie umfassende Informationen: „Mehr wissen heißt auch mehr verstehen“, so Wendland. Noch immer schwankten die Berliner „im Umgang mit dem Fremden“ zwischen Faszination und Unheimlichkeit. Letzteres solle aus den Köpfen der Hauptstädter weichen.

Nicht etwa ein Ghetto-Medium für Ausländer, sondern ein Integrationsradio schwebt Wendland vor – ein radiophones Bekenntnis zur ethnischen Vielfalt der Stadt, in der rund 430.000 Ausländer aus insgesamt 181 Nationen leben. Das sind nahezu zwölf Prozent der Berliner.

Gleichwohl ist der Modellversuch, der aus Mitteln des SFB, der Landesmedienanstalt Berlin- Brandenburg und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales finanziert wird, zunächst nur auf eineinhalb Jahre angelegt. Immerhin. Viele hatten nämlich gar nicht mehr mit einem Sendestart gerechnet, nachdem das Konzept über lange Zeit in den Verwaltungsetagen des Funkhauses schlummerte. Jetzt, wo das angestaubte Projekt nun doch noch aus der Versenkung aufgetaucht ist, erschien es der Landesmedienanstalt offenbar doch waghalsig. Die Behörde gab eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, ehe sie dem Sender auf Probe zwei Millionen Mark zur Verfügung stellte. Im Gegensatz zu Fernsehen und Zeitungen, erfuhr die Behörde von wissenschaftlicher Seite, sei für viele Ausländer das Radio ein schwieriges Medium. Nichtsdestotrotz befürworteten die Verfasser der Expertise dann doch das Experiment. „Ethnische Teilöffentlichkeit“, hieß es in dem Papier, „ermöglicht es Minderheiten besser, mit Angst umzugehen und die Realität der Residenzgesellschaft gelassener zu betrachten.“