Zoff unter deutschen Dächern

Nachbarschaftsstreits in Frankfurt: Häusliche Störfälle treiben Geschädigte zu Polizei, Detektiven und Schiedsleuten / Der Nerv mit dem Nachbarn macht die schickste Hütte zum unwirtlichen Ort  ■ Von Heide Platen

Direkt vor der Haustür brüllen sich zwei Kontrahenten täglich – ein schon ritualisiertes Ventil anderweitiger Frustration – wegen eines öffentlichen Parkplatzes an, den beide als den ausschließlich ihrigen betrachten. Nachbarschaftsstreits wegen über den Zaun hängender Baumzweige, Beschwerden über krähende Hähne oder im Zierteich quakende Frösche pulverisieren die Nerven Ruhe suchender Vorstädter.

Ein Fall des Terrors von Mietern gegen Mieter eskalierte gerade in Frankfurt vom Kleinkrieg zur Materialschlacht. Die einen, nach zwanzig Jahren Knochenarbeit entnervt am Rande des sozialen Abstiegs lavierend, wohnen unten. Die anderen, ein gemäßigt lebenslustiges Paar, obendrüber. Der untere Mieter fühlte sich nach acht Jahren schweigenden Übereinanders plötzlich von seinem Obermieter verfolgt, reagierte mit paranoidem Wahn und wurde bedrohlich. Immer wieder beschwerte er sich über „Schritte auf meinem Kopf“, die exakt seinen Wegen folgen, und darüber, daß der andere „immer aufs Klo geht, wenn ich auch gehe“. Er drohte schließlich mit Mord und Totschlag, „wenn der Lärm nicht aufhört“.

Die Polizei und der nach langem Zögern und Beraten schließlich aufgesuchte Städtische Gesundheitsdienst erwiesen sich als hilflos, solange der Mann konkret nur seine Nachbarn drangsaliere, nicht aber „sich selbst oder die Allgemeinheit gefährdet“. Eine probehalber und nach monatelanger Zermürbung konsultierte auf Personenschutz spezialisierte Detektei reagierte rüde. Der dynamisch- dreiste Berater empfahl sich sowohl als Zeuge wie als Schläger und riet schließlich auch noch: „Werfen Sie dem doch einfach einen Molotowcocktail in die Wohnung.“ Davon nahmen die Betroffenen Abstand.

Aber auch sonst ganz umgängliche Freunde und Bekannte ergingen sich in Gewaltphantasien, empfahlen, „jetzt extra Stahlkappen auf die Turnschuhe zu nageln“ oder „die Stereoanlage bis zum Anschlag aufzudrehen“. Der Hausbesitzer hielt sich raus. Hellhörigkeit und quietschende Dielen in einem Altbau, ließ er wissen, seien mit dem Einzug in einen solchen billigend in Kauf genommen worden.

Werfen Sie doch einfach einen Molotowcocktail

Das Paar reagierte schließlich in Eigenregie mit einer infernalischen, immerhin aber begrenzt gewaltfreien Roßkur. Es ließ den Fußboden schallisolierend erneuern. Seit realer Lärm durch Bohren, Sägen und Schrauben das Haus drei Tage lang erschütterte, ist es vorerst still geworden bei dem sich bisher nur von alltäglichen oder imaginären Geräuschen verfolgt Fühlenden.

Nachbarschaftsstreit gerät in der Main-Metropole derzeit schnell zum abendfüllenden Thema. Da kommt leicht Nostalgie auf in der Erinnerung an gemeinsam gegen Vermieter streitende Hausgemeinschaften, Mietertreffen und Hoffeste. „Mittlerweile“, klagt einer, früher nicht so sonderlich auf gute Umgangsformen bedacht, „stellen sich die Leute nicht einmal mehr vor, wenn sie neu einziehen.“ Dafür agieren sie um so mehr gegeneinander. In einem Taunusvorort ist der eher harmlose Wäschekrieg entbrannt. Der hängte sich an der Leine auf, die die Neumieterin an einem sonntäglichen Sommertag ahnungslos mit ihren Aussprechlichen bestückte. Solches Tun, wurde ihr prompt von nebenan gesagt, „gehört sich nicht an einem Feiertag“. Das weckte außer Aggression die längst vergessene Kindheitserinnerung an Wäscheverordnungen in Mietverträgen.

Aber der Frust geht tiefer. Schlechte Nachbarschaft schafft Unbehagen: „Überall wird man reglementiert. Es ist einfach ein unangenehmes Gefühl, wenn man sich nicht mal zu Hause frei bewegen kann.“ Der Angestellte einer Rechtsanwaltskanzlei kämpft einen harten Tort aus. Er wohnt in einer kleinen Mansardenwohnung unter dem Dach im begehrten Stadtteil Bockenheim. Bad und Toilette wurden zusammen mit dem Nachbarn genutzt. Das ging recht gut. Jüngst aber zog ein neuer Mieter ein, der seither fünf weiteren Kumpels Logis bietet, die, unausweichlich, Bad und Toilette mitbenutzen. Seither weigert sich die Freundin des geplagten Altmieters, bei ihm zu übernachten. Der junge Mann rätselt, ob ihn nun der Hauswirt auf diese Weise zur Kündigung mürbe machen will oder ob die ihm auf seine Beschwerde hin angedrohten Prügel auf die Eigeninitiative der sechs gestandenen Gelegenheitsarbeiter zurückgeht. Er minderte die Miete, fürchtet aber seither um seine körperliche Unversehrtheit.

Auch in Sachsenhausen ist der häusliche Friede dahin. Die geschäftlich erfolgreiche Dame im dritten Stock verwirklichte sich ihren Urlaubstraum von der Villa in der Toskana daheim im Mietshaus: Italienische Fußbodenkacheln mußten es sein. Auf denen klappert sie nun zum Entsetzen der darunter lebenden Menschen mit Stöckelschuhen hin und her und her und hin, statt nachbarschaftsverträglich in Filzpantoffeln zu rutschen.

Kontroversen tun sich auch in Häusern mit gemischt Bewohnenden auf. Die einen sind Mieter und beschweren sich bei der Hausverwaltung, wenn das Fenster klemmt oder die Dusche leckt. Die anderen sind Besitzer ihrer Eigentumswohnung und greifen deshalb, trautes Heim, ebenso begeistert wie gnadenlos selbst zum Handwerkszeug. Sie reparieren und erneuern, daß es eine Art hat. Da werden Balkons geplättelt, Rundbögen durch die Wände gestemmt, Fußböden parkettiert. Hämmern und Bohren, Bohren und Hämmern, vorzugsweise am Wochenende, stauen sich bei den zähneknirschenden Nur-Mietern zum regelmäßigen kakophonischen Wochenend-Frust.

Auch gelernten Handwerkern ist derzeit, fast, nichts mehr fremd. Eine Fußbodenfirma zum Beispiel ging nichtsahnend ihrer Arbeit nach und sah sich unversehens mit einem Nachbarn konfrontiert, der seiner Forderung nach Ruhe mit einer Pistole so lange Nachdruck verlieh, bis die Polizei ihn abholte.

Der Frankfurter Polizeisprecher Jürgen Linker, zuständig für die Schutzpolizei, findet jedoch nicht, daß der häusliche Streit in letzter Zeit zugenommen hat: „Das ist schon immer unser tagtägliches Konfliktpotential.“ Manches Revier in „manchen Gegenden“ müsse pro Abend „zwei- bis dreimal raus“. Die BeamtInnen versuchen vor allem zu schlichten: „Das ist ein sensibles Gebiet. Da werden einfach sehr viele Emotionen frei.“ Erst wenn die Vermittlung nichts nütze, werde auch mal jemand vorübergehend festgenommen oder zur Ausnüchterung in eine Zelle gesteckt. Generell gehen sich – wen wundert's – die Menschen in den Mehrfamilien- und Hochhäusern in „sozial schwachen Gebieten“ mehr und öfter auf die Nerven als „in Nobelgegenden“.

Eine Statistik, so Linker, gibt es nicht. Zum einen werden die Fälle „meist im Vorfeld geklärt“, zum anderen seien diese Privatklagedelikte rein juristisch „nicht von öffentlichem Interesse“. Wer seinen mißliebigen Nachbarn bei der Polizei anzeigen will, wird, trotz Beleidigung und Körperverletzung, meist wieder nach Hause geschickt. Eingeschritten werden könne nur, wenn das öffentliche Interesse tangiert sei, also wenn jemand „sich selbst oder die Allgemeinheit gefährdet“: „Da haben Sie Pech gehabt, wenn er sich nur gerade Sie ausgeguckt hat.“ Das tröstet wenig, befreit nicht von Ohnmachts- und Angstgefühlen und läßt die Betroffenen sich selber als entwürdigt und hilflos erfahren.

Kein Wasser und Fäkalien an der Wohnungstür

Der formale Weg, eine Befriedung des Konflikts zu starten, ist nur wenigen bekannt. Beim Polizeirevier gibt es Namen und Adressen von für den Bezirk zuständigen Schiedsmännern und -frauen. Diese sind ehrenamtlich tätig, halten Sprechstunden, beraten, versuchen zu intervenieren und laden zum Sühnetermin. Erst wenn der erfolglos bleibt, kann der Klageweg beschritten werden.

Matthias Willenbrink von der Firma „Detek“ distanziert sich entschieden von jenem oben genannten Kollegen, der den Einsatz von Molotowcocktails empfohlen hatte. Willenbrink ist ein nachdenklicher Mann: „Es gibt so viele Sachen, wo die Menschen nichts haben, wo sie sich hinwenden können.“ Diese Hilflosen kommen manchmal zu den Detekteien. Dort sind sie, meint er, eigentlich auch an der falschen Stelle. Willenbrink rät meist davon ab, einen Auftrag zu erteilen: „Wir beschaffen Beweismittel. Bei Nachbarschaftskonflikten sind die Dinge klar und längst bewiesen.“ Und dann bestehen auch „keine Unklarheiten, also kein Handlungsbedarf“ für eine Detektei: „Wir wollen den Leuten nicht das Geld aus der Tasche ziehen.“ Er erinnert sich „in jüngster Zeit“ nur an zwei Fälle, in denen Fäkalien an der Wohnungstür und heimlich abgedrehte Wasserleitungen eine Rolle spielten. In beiden Fällen waren die Nachbarn verdächtig, aber noch nicht identifiziert.

Und schließlich Christian S. Er steht in der Redaktion und zittert. Als es klingelt, versteckt er sich hinter der Tür. Der Sozialarbeiter aus der beschaulichen Frankfurter Arbeitersiedlung Kuhwald fühlt sich verfolgt. Er fürchtet um sein Leben und sucht Hilfe. Er sei, versichert er immer wieder, „kein Querulant“. Nachbarn im Haus würden ihm seit einigen Wochen das Leben zur Hölle machen, hetzten ihm erst die Polizei ins Haus mit Anschuldigungen, „die überhaupt nicht stimmen“. Dann drohten sie ihm, ihn „zusammenzuschlagen“, ihn „umzubringen“.

Als er seinerseits die Polizei rief, wurde der mittlerweile völlig Entnervte nicht ernst genommen. Der Mann ist sichtlich verängstigt und klingt deshalb etwas wirr. Rationale Gründe für die Verfolgung gäbe es, ist er sich sicher, nicht. Er vermutet: „Vielleicht wollen die mich aus der Wohnung ekeln.“ Er bekommt die Adresse des zuständigen evangelischen Pfarrers, eines sozial engagierten Mannes, und den Tip mit dem Schiedsmann. Am Ende geht er, getröstet ausgerechnet von der Tatsache, „daß ich kein Einzelfall bin“.