■ Algerische Islamisten aus der Haft entlassen
: Dynamik der Anerkennung

In Algerien kommt Bewegung in die innenpolitische Situation. Die Haftentlassung von mehreren Führern der verbotenen islamistischen Sammelbewegung FIS markiert eine neue Qualität beim Versuch eines nationalen Dialogs. Bei genauerem Hinsehen wird man zwar analysieren, daß Algier niemals Teheran sein wird, aber immerhin: der Damm gegen jegliche Verständigung mit der FIS, den viele republikanische Intellektuelle in Algier genauso wie die französische Regierung gerne erhöhen möchten, könnte bald durchbrochen werden. Die Freilassung von Madani und Belhadj hat ihn jedenfalls unterspült.

Natürlich ist dieser „nationale Dialog“ in Algerien auch weiterhin – von der Position seiner Akteure aus gesehen – von vielen Unsicherheiten und Gefahren bedroht. Aber halbwegs distanzierte Beobachter können sich schon lange nicht mehr vorstellen, wie es in Algerien ohne eine zumindest partielle Einbindung der Islamisten weitergehen sollte. Auch wenn sich keiner so recht vorstellen kann, wie dieser Gang durchs Nadelöhr eines gesellschaftlichen Kompromisses aussehen soll.

Jetzt scheint ein Schritt weiter in diese Richtung geebnet. Anlaß genug, auf ein denkbares Zukunftsszenario hinzuweisen: Europas Politiker werden sich darauf einstellen müssen, die Islamisten als Regierungsvertreter von Mittelmeerländern zu begegnen. Die Briten und auch die Deutschen üben dies bereits, ermuntert von den USA, wo sich diese Position mittlerweile auch durchgesetzt hat. Und wir alle werden lernen müssen, die Vorstellungen der islamistischen Bewegungen als eine Realität ernst zu nehmen, auch wenn man sich mit ihnen streiten wird. Sie sind die erste echte Herausforderung an unseren Eurozentrismus.

Und wir werden auch lernen, daß die islamistische Bewegung in Algerien und sonstwo in Nordafrika Strukturierungen und Strömungen besitzt, die gerade im Zuge ihrer gesellschaftlichen Anerkennung eine innere Dynamik auslösen werden. So wie die neue Linke der Studentenbewegungen aus den 60er Jahren im Laufe der Zeit gleichermaßen terroristische „bewaffnete Kämpfer“, die Softies der Alternativszene und realpolitische Grüne hervorgebracht hat. Thomas Hartmann

freier Journalist, lebt in Berlin