Wer lange schläft, wird auch noch diskriminiert

■ Ein Verein kümmert sich um zeitversetzt lang schlafende Menschen

Berlin (taz) – Die Gründungsversammlung des Vereins „Delta T“ war zwar vorsorglich erst um 15 Uhr angesetzt worden. Trotzdem „verschliefen einige Gäste den Termin“, erzählt Vereinsvorsitzender Günter Woog. Er war nicht überrascht: Aktive Mitglieder in „Delta T“ können laut Satzung nämlich nur „zeitversetzt und lang schlafende Menschen“ werden. Der neugegründete Verein „Delta T, Verein für Zweitnormalität e.V.“ mit Sitz in Dreieich bei Frankfurt/Main hat es sich zum Ziel gesetzt, „zeitversetzt und lang schlafenden Menschen zu Anerkennung, Toleranz und vor allem zu ihrer Natur entsprechendem Leben zu verhelfen“.

Vom Terror der gängigen Alltagsrhythmen können die rund 40 Mitglieder des Vereins ein Schlaflied singen: „Verfrühte Telefonate, Lieferanten, Postboten setzen gleichgeschaltete Lebensgewohnheiten als selbstverständlich voraus. Öffnungszeiten öffentlicher Einrichtungen und private Dienstleistungsangebote orientieren sich am Idealtypus des frühen Huhns“, klagen die Gründer in der Vereinspräambel. Im Verein wollen sich die „Zweitnormalen“ ausführlicher darüber austauschen, wie es sich lebt mit der Veranlagung, nachts am besten zu arbeiten und tagsüber am besten zu schlafen.

Im Aufnahmeformular müssen die Interessenten angeben, wann und wie lange sie in den Federn liegen. Wer Frühaufsteher ist, darf nur „förderndes Mitglied“ werden. Die Mitglieder, darunter freiberufliche Designer und Anwälte, aber auch Ingenieure, bieten sich für „zeitversetzte Leistungen“ an. „Einen ,Delta T‘ler kann man auch nachts anrufen“, so Woog. Streng verboten sind dagegen Telefonate vor zehn Uhr in der Früh. Hohes Vereinsziel ist „ein gemeinsamer Schlafurlaub im arktischen Winter“, so Woog. Pionierarbeit für die „Zeitversetzten“ leistet schon eine Journalistin, die erst nächtens im Büro zu voller Form aufläuft. „Dafür schläft sie morgens zwischen 7 und 13 Uhr“, berichtet Woog. Der zeitnormale Arbeitgeber hatte die nächtlichen Höhenflüge und morgendliche Abwesenheit der Kollegin satt und ihr gekündigt. Sie zog vor Gericht – und gewann in erster Instanz. Im Arbeitsvertrag stand nämlich nichts von den genauen Arbeitszeiten.

Ein echter „Delta T“ler, so glaubt Woog, hat seinen Rhythmus von Geburt an. Und der wird durch die Umgebung gefördert oder unterdrückt. Vielleicht kein Zufall, daß ein großer Teil der Mitglieder aus Berlin kommt – der Stadt ohne Sperrstunde. Das nächste Treffen ist deshalb auch im November in Berlin angesetzt. Vereinsadresse: Delta T, c/o Günter Woog, Frankfurter Straße 4–6, 63303 Dreieich. Barbara Dribbusch