Weitsicht bei der Bürogründung

■ Viele Anwender bräuchten am Computer eine spezielle Brille / Kasse muß zahlen / EU-Richtlinie zu Arbeitsschutz am Bildschirm in Bonn noch immer nicht umgesetzt

Weitsicht ist für Unternehmensgründer ohne Zweifel eine wichtige Eigenschaft. Dazu gehört jedoch auch, von Beginn an auf gesundheitsverträgliche Arbeitsatmosphäre zu achten. Doch die wird, wenn es um die Augen geht, nach Ansicht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und der Europäischen Union oft vernachlässigt. Dabei entstehen Existenzgründern bei frühzeitiger Beachtung nicht einmal gravierende Kosten.

Deutlich mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer an Bildschirmen klagte bei einer Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz über regelmäßige Kopfschmerzen, rund 40 Prozent über Augenbeschwerden. Da die Bilanzen in den anderen europäischen Ländern ähnlich mies sind, wurden von der EU bereits vor vier Jahren Mindestvorschriften festgelegt, die die Gesundheit bei der Arbeit an Bildschirmen schützen sollen.

Das Arbeitsschutzrahmengesetz, mit dem die Richtlinien nationales Recht werden sollten, hat die Bundesregierung nun aber fallengelassen – Brüssel droht jetzt mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Dabei gebärdet sich die konservative Koalition, als könne sie Arbeitgebern mit dem Gesetz furchtbar weh tun. Das Gegenteil ist der Fall:

„Es liegt doch auf der Hand, daß Mitarbeiter, die sich wohl fühlen und keine körperlichen Beschwerden haben, besser und effektiver arbeiten“, ist Werner Klaas überzeugt. Der Optiker am Bayrischen Platz in Berlin-Schöneberg beschäftigt sich seit einiger Zeit mit den Erfordernissen der Arbeitsplatzgestaltung, die seiner Ansicht nach zu wenig berücksichtigt werden. „Das geht schon damit los, daß viele Computer so aufgestellt werden, daß sich das einfallende Licht im Bildschirm spiegelt“, bemängelt er. Auch gehöre der Monitor nicht direkt neben das Fenster, „da sind die Helligkeitsunterschiede, die das Auge bewältigen muß, viel zu groß“. Vielmehr müsse der Arbeitsplatz selbst, das heißt die Tastatur und eventuelle Vorlagen oder Dokumente, gut beleuchtet sein, rät auch das Kuratorium Gutes Sehen. Mit Bildschirmfiltern sei ebenfalls schon viel erreicht, unterstreicht der Neusser Hersteller 3M, dessen These vom TÜV Rheinland unterstützt wird. In einer Erklärung drückt die Firma ihre Hoffnung aus, daß „eine neue Bundesregierung“ die EU-Richtlinie umsetzt.

Das besondere Interesse des Berliner Optikers Klaas gilt der Sehschärfe der einzelnen Mitarbeiter. Denn auch wer eine Brille trage, sei keineswegs immer richtig für den Bildschirmarbeitsplatz ausgestattet: „Brillen sind immer eine Sehkorrektur für die Ferne“, erklärt Klaas, für den Nahbereich gebe es sogenannte Lesebrillen. Diese seien für eine feste Entfernung geeignet, zum Beispiel für 50 Zentimeter. „Am Arbeitsplatz sind aber verschiedene Entfernungen von Bedeutung“, so Klaas: die Tastatur sei oft etwa 40 Zentimeter vom Auge entfernt, Vorlagen etwas mehr und der Bildschirm 70 bis 80 Zentimeter.

Vor allem für (alters-)weitsichtige Arbeitnehmer bedeutet das, daß die Augen ständig überfordert sind. Die ideale Lösung sind seiner Ansicht nach Gleitsichtgläser, bei denen verschiedene Stärken stufenlos ineinander übergehen. Brillen mit diesen Gläsern sollten nach Meinung von Klaas individuell auf Mensch und Arbeitsplatz abgestimmt sein: „Ein Pilot, der auch Instrumente über sich zu beachten hat, braucht einen Nahbereich im oberen Teil der Brille, die meisten Mitarbeiter in Büros nicht.“

Der Clou: Wer an einem Bildschirmarbeitsplatz beschäftigt ist, hat nach Klaas' Aussage ein Recht auf eine solche Brille. Zahlen müssen weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber – die Krankenkasse muß für die Sehhilfe aufkommen; unabhängig davon, ob schon wieder eine neue „Normalbrille“ fällig ist oder nicht. Christian Arns