Kleinbürgerliches Kreuzberg

■ Gregor Gysi absolvierte kabarettistische Wahlkampfshow

„Gregor soll den Stuhl umkippen“, ist die Message von seinem Fahrer namens Roli. Nach vier Stunden One-man-Show soll in den Kreuzberger Festsälen Schluß sein. Vor rund 400 Zuhörern gab sich der heimliche PDS-Chef Gregor Gysi sozialdemokratisch. Wollte er etwa den Direktkandidaten der Grünen in Kreuzberg, Christian Ströbele, schonen? Lag es daran, daß er gar nichts zu Kreuzberger Problemen sagte und daß die Kreuzberger PDS-Direktkandidatin Ulla Jelpke nur die einleitenden Worte formulieren durfte?

Vor der Tür verteilte die Gruppe Spartakus eine Bolschewik Extra-Ausgabe mit dem Zusatz „Hier hast Du was wirklich Revolutionäres“. „Die PDS hat als erste wirklich linke Partei die Chance, das Kleinbürgertum zu erreichen“, kontert Gysi später. Dies sei die interessanteste Entwicklung in seiner Partei. Aber nun gelte es, diese Kleinbürger bei der Stange zu halten, ohne selbst kleinbürgerlich zu werden.

Brav fordert Gysi eine neue Verteilungspolitik à la SPD. Der Sozialabbau müsse rückgängig gemacht werden. Abschreibungsmöglichkeiten für Besserverdienende sollten eingeschränkt und Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Und zwischen die guten Absichten streut Gysi immer wieder nette Anekdoten.

Er bedankt sich höflich für Gerhard Schröders Angebot, Wohnungsbauminister zu werden. Das sei das Beste, was dem Ressort passieren könne. Aber als Verteidigungsminister sei er viel geeigneter. Immerhin habe er die PDS zu 95 Prozent abgerüstet. Schallendes Gelächter im Saal.

Eigentlich ging es um das Motto „die PDS zwischen Anpassung und Widerstand“. Daß die PDS in den Bundestag einzieht, sei wichtig. Nur so könne die Kohl-Regierung gestürzt werden. Vor allem eine Minderheitsregierung wäre spannend. Dann müsse sich die SPD zwischen linkem oder rechtem Kompromiß entscheiden. „Außerdem ist die PDS die einzige Partei, die nicht bestechlich ist, denn keiner will sie bestechen“, triumphierte Gysi.

So kamen dann weder die Kreuzberger Linken noch konservative Wadenbeißer auf ihre Kosten. Vorkämpfer Dirk Schneider grummelte „der hat nicht einmal ,Sozialismus‘ gesagt“ in seinen Bart. Als Gysi dann die Platitüde „Die Grenze verläuft nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen arm und reich“ losläßt, seufzt eine ältere Frau: „Schön, so etwas wieder mal zu hören.“

Bevor Gysi doch noch zu seinem Fahrer Roli ins Auto stieg, plauderte er auf der Straße noch kurz mit einem Polizisten – kleinbürgerlich, von Mann zu Mann. Sven Christian