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: Entblößend schwach

„Schamlosigkeit oder Schwachsinn“, Mi, 22 Uhr, Vox

In dreckigen Unterhemden und kurzen Hosen suchen deutsche Männer auf Mallorca Restaurants auf und benehmen sich auch sonst sehr schlecht. Mit gespreizten Beinen sonnen sich Frauen im Sommer, die Sitten verfallen, Moral ist eh nur noch ein Lacher. Schön ist das nicht.

Ganz alternativlos herrscht „Schamlosigkeit oder Schwachsinn“. Das Motto des „Spiegel- TV-Themas“ hatte man einer launigen Beschimpfung entnommen, die Jürgen Busche, Inlandschef der SZ, im heißen Sommer veröffentlicht hatte.

Um darüber zu plaudern, saßen ausschließlich Männer im Studio: als Vertreter der Vernunft Jürgen Busche und der Soziologe Sighard Neckel, als Repräsentanten der Schamlosigkeit der „indiskrete Reporter“ Wolfgang Korruhn und der bekennende Sadomasochist Hermes Phettberg. Kurze Filmschnipsel ergänzten das Gerede. Da sah man den eklig alerten Korruhn fürs ARD-Frühstücksfernsehen im lauschigen Taxifond allerlei indiskrete Interviews führen, den traurigen Fleischberg Hermes Phettberg, der sich zwecks Lustgewinns ab und an in Galerien nackt anketten läßt, und die 24jährige Künstlerin Elke, die hinter Plexiglasscheiben in Museen masturbiert. Während Phettberg nur von wenigen Kunstfreunden „benutzt“ wird, gilt Elke als „Senkrechtstarterin“ in der Kunstszene.

Viel hatten sich die einander gleichgültigen Männer nicht zu sagen. Bis auf Phettberg waren sie eh nur gekommen, um ihre Produkte (neue Bücher) zu präsentieren. Phettberg, der vom Geld seiner Mutter lebt, zeigte als einziger Scham: „Ich schäme mich dafür, mich zu verkaufen.“

Sighard Neckel erklärte, daß die Inhalte des Schamgefühls sich gewandelt hätten. Es ginge nicht mehr um Nacktheit oder Moralisches, sondern um Soziales. Es schäme sich heute, wer die Imperative nicht erfülle, „locker“, „cool“, „selbstbewußt schön“ und „individuell“ zu sein. Busche führte die Schamlosigkeit auf gesellschaftliche Anonymisierungen zurück – schamlos gäbe man sich nur gegenüber anonymen anderen. Auf die Frage: „Warum entblößen sich die Leute so sehr, Herr Busche?“ antwortete der mit einem sehr sympathischen: „Ich weiß es nicht“ oder einem noch besseren: „Ich kann solche Fragen aus einer Pseudowirklichkeit, die Sie hier für dies Gespräch konstruieren, nicht beantworten.“ Detelf Kuhlbrodt