Der Fall Mitterrand ist wie der Fall Waldheim

■ S. Klarsfeld zu Mitterrands Vergangenheit

Paris (taz) – François Mitterrand wäre nie Präsident geworden, wenn er früher über seine Vergangenheit gesprochen hätte. Mit diesen Worten reagierte Serge Klarsfeld, Anwalt, Historiker und Vorsitzender der „Vereinigung der Söhne und Töchter der aus Frankreich deportierten Juden“, in einem Gespräch mit der taz auf Mitterrands Erklärung zu seiner Verstrickung mit dem Vichy-Regime. „Das ist ein bißchen wie bei Waldheim. Mitterrand log nicht, er vergaß.“ Zugleich verweist Klarsfeld, der sich wie kein anderer Franzose in den letzten Jahrzehnten für die Aufklärung des Holocausts engagiert hat, auf die Mitverantwortung der politischen Freunde und Feinde des Staatschefs hin: Die politischen Gegner waren zum Teil selbst Anhänger des Regimes von Vichy, und seine FreundInnen in der Sozialistischen Partei brauchten ihn, um an die Regierung zu kommen. Mitterrand selbst hatte am Montag im Fernsehen resümiert: „Ich habe ein ruhiges Gewissen.“ Eineinhalb Stunden lang sprach der 77jährige über seine Krebskrankheit im fortgeschrittenen Stadium und über seine der Öffentlichkeit unbekannte rechte Vergangenheit. So will der einstige Mitarbeiter von Marschall Philippe Pétain nichts über die antisemitische Gesetzgebung von Vichy gewußt haben. Klarsfeld hält das für „absurd“. Schließlich habe jeder Mitarbeiter des Regimes schriftlich Zeugnis über seine arische Herkunft ablegen müssen. Und die Razzien in Paris und im freien Teil Frankreichs (Vichy), bei denen französische Polizisten Juden zu Hause abholten, die nach Auschwitz deportiert wurden, seien unübersehbar gewesen.

Besonders übel nehmen die Franzosen Mitterrands Beziehung zu René Bousquet, dem Polizeichef von Vichy, der der SS den Einsatz französischer Polizei für die Verhaftungen von Juden angeboten hatte. Der Präsident frequentierte Bousquet, der nach dem Krieg eine steile Karriere machte, noch bis 1986 – obwohl längst dessen Vergangenheit bekannt war.

Dorothea Hahn Interview Seite 13