Außer Schnurren nichts gewesen

■ Thomas Langhoff, Slobodan Snaider und George Tabori plauderten in der „Möwe“ ein bißchen über „Die Darstellbarkeit des Grauens im Theater“

Nach genau 27 Minuten durfte George Tabori das erste Mal reden. Nach genau 27 Minuten und 15 Sekunden konnte das Publikum das erste Mal lachen. Zuvor hatte Maria Sommer, die Leiterin des Kiepenheuer Bühnenverlags, mit Kritiken zu dessen Kannibalen- Inszenierung gelangweilt, um schließlich zu fragen: Wie haben Sie diese Reaktion empfunden, Herr Tabori? Doch der Stargast der Veranstaltung, der natürlich nicht zugehört hatte, konterte mit einer erprobten Pointe: „Ich hatte ein Fluchtauto bestellt, doch als die Aufnahme so positiv war, bin ich geblieben, seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren.“ Das Publikum lachte das erste Mal und gleichzeitig auch das letzte Mal. Das war der Höhepunkt des Abends.

Sicher, Tabori (Weltbürger), der Schriftsteller Slobodan Snaider (Zagreb) und Thomas Langhoff (500 Meter um die Ecke) waren in den Künstlerklub „Möwe“ gekommen, um ernste Dinge zu besprechen, die „Darstellbarkeit des Grauens im Theater“. In der Einladung hieß es akademisch: „Gegenstand des Podiums ist die Untersuchung der Frage, ob grausames Geschehen in der Geschichte adäquat im Theater (einschließlich Film) dargestellt werden kann und soll.“ Ein Thesenpapier hatte man zwar dennoch nicht erwartet, aber anders, als die Mediendebatten beispielsweise um Schlingensief oder „Schindlers Liste“ würden die Theaterleute das Thema schon anpacken. Geistreicher, differenzierter, hintergründiger. Sie packten es nicht.

Langhoff sagte dreimal, daß das Theater genau wie Liebe auch Gewalt thematisieren müsse. Es gelte, eine Übersetzung dafür zu finden, erkannte er richtig – aber welche? Tabori erzählte schläfrig, daß er die „Kannibalen“ heute nicht mehr schreiben würde. Aber warum diese Groteske von menschenfressenden KZ-Juden heute nicht mehr geht, sagte er nicht. Snaider berichtete in nachdenklicher Haltung von vergewaltigten Frauen, deren Martyrium man nicht darstellen könne. Aber warum man Liebe realistisch auf die Bühne bringen kann, aber keine Grausamkeiten, sagte er nicht. Und Frau Sommer? Sie hatte sich keine Fragen ausgedacht. Sie stachelte weder Tabori gegen Langhoff auf noch Snaider gegen Tabori oder gar alle gegen alle. Sie glänzte nicht mit Thesen des „Theaters der Grausamkeit“. Unterschied nicht psychische Gewalt von physischer, widerlegte nicht ästhetische Aussagen mit moralischen.

Ein Geplauder: Snaider sagte, daß das Theater kathartisch wirken solle. Eine Dame sorgte sich über die Preise im Deutschen Theater. Langhoff lehnte aufklärerisches Theater im Sinne Brechts ab. Ein Herr wollte etwas über das Theater in Kroatien erfahren. Tabori bekannte sich zum Schauspiel trotz allen Krisengeredes. Eine Dame wollte vom „noch rüstigen“ Autor wissen, ob er denn immer noch schreibe. Frau Sommer fand Langhoffs Inszenierung grandios, obwohl sie sie nicht kannte; Langhoff fand Tabori und Snaider als Autoren bewundernswert, obwohl er die angesprochenen Stücke nicht gelesen hatte. Und Tabori schnurrte gelassen. Und das Publikum war begeistert. Und die „Möwe“ sollte hiermit als „Mittelpunkt für Kultur“ etabliert werden. Dirk Nümann