Kommunist zwischen allen Stühlen

■ „Sie haben Angst vor unseren Liedern“ – Ein Portrait des Dichters Nazim Hikmet

In der Regel gibt es im Fernsehen nichts Schlimmeres als Schriftstellerportraits. Da schlachten verkrachte Literaturwissenschaftler ihre Examensarbeit aus, und irgendein vom Sender abkommandierter Kameramann zoomt zu den universitären Ergüssen ebenso lust- wie einfallslos irgendwelche Bilder zusammen. Kulturfernsehen zum Abgewöhnen.

Osman Okkan (Buch) und Dieter Oeckl (Kamera, Regie) demonstrieren mit ihrem Portrait des türkischen Dichters Nazim Hikmet, daß es auch anders geht. Dabei kommt ihnen natürlich auch der schlichte Umstand zu Hilfe, daß Hikmet kein Stubenhocker war, sondern es von seinem Leben auch wirklich etwas zu erzählen gibt. Der Dichter, 1902 geboren, bekannte sich früh zum Kommunismus, stand jedoch zeitlebens mit dessen selbsternannten Vertretern auf Kriegsfuß. In der Türkei unterstützte er den Befreiungskampf Kemal Paschas (des späteren Atatürk) gegen die Besatzer Anfang der zwanziger Jahre.

Während eines längeren Moskauaufenthaltes begeisterte sich Hikmet für die revolutionäre Avantgarde und verfaßte experimentelle Gedichte. Zurück in der Türkei, wo Atatürk die KP gleich nach seiner Machtübernahme verboten hatte, wurde Hikmet in zwei Schauprozessen 1937 wegen angeblicher Anstiftung zur Meuterei zu 36 Jahren Haft verurteilt. Als er unter anderem aufgrund internationaler Proteste nach 13 Jahren entlassen wurde, ging er zurück nach Moskau. Dort wurde der Dichter vom ZK mit großem Pomp empfangen und mit allen Privilegien ausgestattet. Entsetzt über die kleinbürgerliche Kunst des sozialistischen Realismus, überwarf sich Hikmet jedoch bald mit den Funktionären, blieb aber trotzdem bis zu seinem Tode 1963 in Moskau.

Wie Okkan und Oeckl in ihrem Film anhand von Akten des jetzt zugänglichen Komintern-Archivs belegen, wurde Hikmet all die Jahre vom KGB überwacht. Was allerdings kaum anders zu erwarten war. Aber die Qualitäten ihres Portraits liegen ohnehin woanders. Dabei sind ihre filmischen Mittel eigentlich durchaus konventionell. Es sind die Montage der Archivbilder, der Gespräche mit den Zeitzeugen, der Bilder von Hikmets Aufenthaltsorten, die ausgewählten Gedichtauszüge und der Kommentar, die bestechen. Die beiden Autoren haben sich hier nicht nur die Mühe gemacht, für ihre Bilder gute Motive, sondern auch ungewöhnliche Perspektiven zu suchen. Und bei Gesprächen wird nicht geschnitten, sobald der Sprechende den Mund zumacht, sondern die vielsagende Handbewegung oder der Stoßseufzer danach wird auch noch mitgenommen. So was ist schlicht, aber im deutschen Bildsalat beileibe nicht der Normalfall. Reinhard Lüke

Sonntag, 23.05 Uhr, West3