Das Geschäft mit der Angst

Boom bei Wachdiensten und Alarmanlagen  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Die Herren stehen in dezentem Abstand am Waldesrand. Die Diva legt eine Tischdecke auf den Boden, dann holt sie Stullen aus dem Korb. „Keine Fans, keine Presse“, lautet ihre Anweisung. Ein teures Picknick: außer den Kosten für die Lachsbrötchen wird der Münchener Fernsehstar auch noch 3.000 Mark für die drei Bodyguards los.

Mit der Angst vor wachsender Kriminalität oder lästigen ZeitgenossInnen läßt sich gut Geld scheffeln. Allein die im Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BOWS) organisierten 1.320 Unternehmen werden in diesem Jahr etwa 4,2 Milliarden Mark umsetzen. Noch 1988 verdienten sie weniger als die Hälfte.

„Es kommt immer häufiger vor, daß nicht westeuropäisch aussehende Reisegruppen sich aus Angst vor rechtsradikalen Übergriffen schützen lassen“, beobachtet Günther List, Prokurist der Münchner Firma Ehrl, die etwa ein Fünftel ihres Umsatzes mit Personenschutz verdient. Die Mehrzahl der Wachmänner und -frauen aber hat nicht die Aufgabe, sich beherzt zwischen Angreifer und Auftraggeber zu werfen oder Kinder von Großindustrieellen vor Entführern zu schützen.

Etwa ein Drittel arbeitet als Pförtner in ganz normalen Betrieben. Auf diese Weise sparen die Personalabteilungen Geld, weil der Tariflohn der Sicherheitsdienste wesentlich niedriger liegt als der der meisten anderen Branchen. Der Rest des Wachpersonals patroulliert in Museen, Industriebetrieben, Forschungsanstalten und Kasernen, marschiert vor Nobelgeschäften oder in U-Bahn- Schächten auf und ab, begleitet Geldtransporte oder überwacht Alarmanlagen.

Inzwischen gibt es in Deutschland etwa genauso viele Angestellte von Wach- und Schließgesellschaften wie Polizisten. Zwischen 200.000 und 300.000 verdienen auf diese Weise ihren Unterhalt, vermutet die ÖTV. Der BOWS hingegen geht von 110.000 Angestellten aus. Genau weiß das aber niemand, denn viele der Hilfssheriffs arbeiten selbständig in Kleinstunternehmen. „Wer unbescholten ist, kann für 30 Mark einen Gewerbeschein kriegen ohne jede Ausbildungsvoraussetzung“, beschwert sich BOWS-Präsident Frank Mauersberger, der eine stärkere Kontrolle des Staates fordert. Innenminister Kanther sei mit seinem Verbrechensbekämpfungsgesetz, das Zulassungsbeschränkungen vorsehe, immerhin auf dem richtigen Weg, lobte er gestern auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Außer den Chefs von Ein- Mann-Unternehmen haben auch Großkonzerne das lukrative Geschäft entdeckt. Während die Branche in den 70er Jahren fast nur aus Familienunternehmen bestand, beherrscht Veba-Tochter Raab-Karcher Sicherheit inzwischen etwa zehn Prozent des Marktes. Einträgliche Aufträge bekommt der Betrieb auch von anderen Veba-Unternehmen: Seit letztem Jahr gehen in den Atomkraftwerken Brokdorf, Stade und Unterweser Raab-Karcher-Leute Streife. Die Wako Nord verlor das 25 Millionen-Geschäft und mußte 350 Angestellte zur Konkurrenz ziehen lassen. „Es geht nicht mehr um Leistung und Preis. Der Wettbewerb ist ausgeschaltet“, kommentiert der frustrierte Wako-Geschäftsführer Peter Schmidt.

Viele kleine Wachgesellschaften beschweren sich über einen ruinösen Wettbewerb in der Branche, und eine Reihe von ihnen sind bereits im Bauch von Raab-Karcher verschwunden. Als die Deutsche Bahn die Essener Firma kürzlich für die Fahrkartenkontrolle und Zugbegleitung anheueren wollte, äußerte das Kartellamt erstmals Bedenken, so daß die Veba-Tochter von dem Geschäft absah. Zur Zeit prüfen die Wettbewerbshüter in Berlin, ob die gemeinsam mit der Lufthansa gegründete Firma „Civas“, die alle Bewachungs- und Sicherheitsdienste für die Fluggesellschaft übernehmen soll, zu einer marktbeherrschenden Stellung Raab-Karchers in der Wachbranche führen würde.

Im Vergleich zur europaweit agierenden britischen Group und der in Schweden ansässigen internationalen Securitas aber ist der deutsche Konzern noch ein kleiner Betrieb. Mit 9.000 MitarbeiterInnen stehen nur ein Viertel so viele Leute auf der Gehaltsliste wie bei den Konkurrenten, die hierzulande aber bisher noch nicht Fuß gefaßt haben.

Spanien und Großbritannien sind in Europa Vorreiter, was die Dichte privater Wachdienste angeht. Zur Zeit ist der in Berlin tagende europäische Dachverband der Wach- und Sicherheitsunternehmen (CoESS) damit beschäftigt, ein vergleichende Studie über die rechtlichen Möglichkeiten ihres Personals in den verschiedenen EU-Ländern zu erstellen. In Brüssel will man anschließend darauf drängen, einheitliche Ausbildungsrichtlinien durchzusetzen. „Noch sind selbst öffentliche Auftraggeber nicht bereit, nur Wachdienste mit qualifizierten Mitarbeiten zu beauftragen“, moniert Mauersberger. Auch Stefan Heimlich von der ÖTV Thüringen rügt die öffentliche Hand. So karre ein westdeutsches Unternehmen Leute aus Thüringen nach Baden- Württemberg zum dortigen Bundesvermögensamt, wo sie für den Osttariflohn von 6,72 Mark Wache schieben müßten. Heimische Angestellte würden hingegen über zwölf Mark verdienen.

Auch die Alarmanlagenindustrie boomt. Um mehr als 600 Prozent sei die Zahl der Einbrüche in den letzten 30 Jahren gestiegen, lehrt der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) potentiellen KundInnen das Gruseln. Mit Erfolg: 1,6 Milliarden Mark gaben die Deutschen letztes Jahr für Einbruchmeldetechnik aus. Für Beratung, Montage und Service kassierten Siemens, Telenorma, Wörl-Alarm und die etwa 20 anderen Hersteller noch mehr als diese Summe.

Der Verband geht in die Offensive. Sicherungsauflagen müßten in die gesetzlichen Bauvorschriften aufgenommen werden, Architekturstudenten Pflichtseminare zu dem Thema absolvieren. Steuerliche Anreize sollten gewährt werden, damit noch mehr Besitzer von Einfamilienhäuschen die immerhin 15.000 bis 20.000 Mark teure Investition wagen. Ist die Anlage erst einmal installiert, kostet der Anschluß beispielsweise bei Ehrl monatlich 65 Mark. Muß ein Mitarbeiter anrücken, um nach dem Rechten zu sehen, werden mindestens 70 Mark fällig.

Allein in Baden-Württemberg gibt es inzwischen 50.000 bis 70.000 gesicherte Häuser, schätzt Johannes Neefs, Kriminaloberkommissar beim Landeskriminalamt in Stuttgart. Viele Alarmanlagen aber seien entweder Schrott oder schlecht installiert, so daß sie tuteten und blinkten, ohne daß sich ein Räuber angeschlichen hätte. Im südwestlichen Bundesland registrierte die Polizei in den letzten beiden Jahren 22.000 mal Fehlalarm. Die tatsächliche Zahl aber dürfte weitaus höher liegen. Genervte Nachbarn informieren die Polizei allenfalls noch, um sich über den Krach nebenan zu beschweren.