■ Gerhard Polt über die ausbleibende Verbiergartung
: „Kastanienbäume sind sehr schön“

taz: Herr Polt, die Biergärten haben noch geschlossen, eigentlich zu früh am Tag, um einen bayerischen Kabarettisten zu interviewen ...

Gerhard Polt: Nein, fangen Sie ruhig an.

Das Kabarett ist in der Krise, jammern die Kritiker, und die Wirklichkeit selbst schon Satire. Was fällt Ihnen denn noch ein zu dem Vorschlag eines CDU-Politikers, alle ausländischen Lokale in Deutschland müßten ein deutsches Gericht auf der Speisekarte führen?

Man müßte ihm Tantiemen bezahlen, diesem Politiker.

Tantiemen?

Na, weil er der Autor ist dieser Satire. Und der Vorschlag ist wirklich absurd. Nicht schlecht ...

... aber eben aus dem wirklichen Leben.

Das Beste ist immer aus dem wirklichen Leben. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß das Erfundene immer besser ist. Es ist auch das Wirkliche nicht immer besser, aber in diesem Fall ist es wirklich gut.

Karnevalisierung Ostdeutschlands, Erhöhung der Zahl der Feiertage oder Einführung einer Politikerschutzversicherung – all Ihre konstruktiven Vorschläge blieben unerhört. Enttäuscht Sie das?

Nein. Ich sage immer nur: Man sieht ja, wie sich die Welt revolutionär verändert hat seit Karl Valentin, das sieht man ja.

Sprüche! Sie sind auch nicht besser als all die anderen Politiker. Im Frühjahr haben Sie die Gründung der Bayerischen Sozialgemütlichkeitspartei angekündigt, Zielsetzung: die Verbiergartung Deutschlands. Aber trotz eines prächtigen Sommers hat sich nichts getan.

Na ja, die Grundidee, den Kastanienbaum wieder mehr zu pflanzen, ist immer noch gut. Kastanienbäume sind sehr schön, deshalb kann man die Idee weiter aufrechterhalten ...

... Sie versuchen nur auszuweichen. Geben Sie zu: Sie haben den ganzen Sommer über im Biergarten gehockt, anstatt aktiv zu werden.

Ich war schon im Biergarten, ja, und dabei gründet man auch selten Biergärten.

Anfang der 80er haben Sie gesagt: „Die Welt sollte werden wie ein gemütlicher Nachmittag im Wirtshaus.“ Und ein paar Jahre später dann: „Meine Lust, Muße zu haben und in Wirtshäusern zu sitzen, ist groß geworden.“ Müssen wir da Resignation heraushören nach dem Motto „Wenn die Welt schon nicht zum Wirtshaus wird, dann geh' ich halt alleine saufen“?

Nein, das wäre zu resignant. Es gibt ja, Gott sei Dank, immer noch mehrere Biergartenbesucher. Die Gesellschaft hat diese Idee noch nicht ausgeschlossen. Nur ist es eben so, daß sie hier in der Defensive ist, weil man den Biergarten zunehmend als ruhestörend empfindet. Man möchte dieses Geräusch des Biergartens eliminieren. Wir haben eine ausgefeilte Jurisprudenz, die immer wieder in der Lage ist, das Treiben und Leben in den Biergärten zu verhindern. Es wird ja auch dem Frosch meistens untersagt, in einem Weiher, der in der Nähe einer Siedlung ist, zu quaken.

Wäre das Ende des Biergartens das Ende der Utopie?

Ja – ... das ist eine gute Frage, da muß ich drüber nachdenken. Mit dem Ende des Biergartens, ja, da würde eine gelebte Utopie verschwinden, ja, da, haben Sie recht.

Herr Polt, wie kommt es denn, daß nur der Volksstamm der Bayern immer diese Spezies von „Kabarettisten“ hervorbringt, die mit einem tiefen Gespür für die Abgründe, die sich dort auftun, dem, wie es blöde heißt, kleinen Mann zu Leibe rücken?

Das weiß ich nicht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sich das wirklich so verhält. Aber der Biergarten ist ja auch eher hier in Bayern angesiedelt als in Schleswig-Holstein. Er ist das, was in Italien die Piazza ist. Eine hochwertige, kulturelle Errungenschaft, die nicht von Haus aus da war, die sich entwickelt hat. Wie sich in Bayern ja auch, neben dem klassischen Kabarett, das ursprünglich etwas Intellektuell-Großstädtisches gewesen ist, sehr stark das ausgebildet hat, was man Brettl nennt. Oder Volkssänger, Leute, die im klassischen Sinne keine Intellektuellen waren – nicht, weil sie von ihren Fähigkeiten nicht intellektuell waren, sondern weil sie sich nicht intellektuell geäußert haben.

Womit wir wieder beim Wirtshaus als dem Ort angelangt sind, wo die Fäden zusammenlaufen.

Das ist schon richtig. Die alte klassische Wirtschaft ist ja mehr oder weniger die überdachte Piazza. Nur weil es bei uns häufiger regnet, hat sich diese Möglichkeit entwickelt. Es war so, daß dort viel an Austausch, an Leben stattfand. Die Wirtschaft – ich betone: die Wirtschaft und nicht das Restaurant oder so etwas – war lange der Boden für Zusammenleben.

Und für die Kreativität Ihrer Zunft?

Ja, wahrscheinlich. So wie in Wien das Kaffeehaus. Wobei das Wirtshaus weniger milieuspezifisch war und noch mehr ein Platz, wo sich Menschen verschiedenster Schichten begegnet sind.

Wenn man das hört, müßte Ihre Forderung nach der Verbiergartung Deutschlands ja noch erweitert werden um die Verwirtshausung.

Wenn man diese Idee ernst nehmen würde, dann wird's wahrscheinlich gefährlich.

Dann wäre der Spaß vorbei?

Genau. Dann wär' der Spaß vorbei.

Interview: Ulrich Fuchs