„Das Geld liegt auf der Straße“

Bei den Streetball-Finals vor dem Olympiastadion zählte außer dem olympischen Geist: „Insein ist alles“ / Slam Dunk ist nicht erlaubt  ■ Aus Berlin Sven Christian

Michael Graf ist überhaupt nicht „in“. Allein schon seine Frisur ist das Gegenteil von „angesagt“. Die meisten der rund 3.500 Streetballer haben eine Glatze bis zu den Schläfen und oben ein Büschel Haare. Bei Michael Graf verhält es sich umgekehrt. Er hat kurze Haare bis zu den Schläfen und ist oben kahl. Mit 51 ist er der älteste Spieler der „Streetball European Finals“. „Ein bißchen mißtrauisch haben mich die Kids schon angeschaut“, sagt der Grundschullehrer aus Berlin. Das Durchschnittsalter seines Teams „Ski und Surf 2“ beträgt 40 Jahre.

Beim Streetball spielen drei gegen drei auf einen Korb. Die Regeln sind simpel. Jeder Korb zählt einen Punkt. Erfolgreiche Würfe außerhalb der 6,25 m-Zone zählen zwei. Derjenige, der ein Foul begeht, muß es selbst anzeigen. Eigentlich gibt es keinen Schiedsrichter. Wer zuerst 16 Punkte hat, darf sich Sieger nennen. Es wird aber höchstens 20 Minuten gespielt. Eine Halbzeit gibt es nicht.

Breitensport im Namen der drei Streifen: Auf dem Parkplatz vor dem Olympiastadion hat der große Sportartikelhersteller 100 Körbe aufgestellt, und sein Firmenlogo prangt auf jedem als Zielscheibe. „Schon in unserer Grundschule merkt man, wie anfällig die Jungen auf Markennamen reagieren“, sagt Streetball-Oldie Graf. Und darum geht es auch. Als festgestellt wurde, daß Werbung im Fernsehen nicht ausreicht, um die Jugend zu erreichen, mußte umgedacht werden. Zu den Kids auf die Straße zu gehen funktionierte als Werbestrategie prächtig. In der Markt- Rangliste hat Streetball-Veranstalter „adidas“ einen gewaltigen Schritt nach vorne getan. Es geht vor allem um das Aufpolieren des etwas staubigen Images. Die Firma „gilt wieder als in und cool“, sagt Pressesprecherin Inga Weise. Um herauszufinden, was in und cool ist, hat der Streetball-Veranstalter eigens eine Werbeagentur beauftragt. Die ermittelt per Trend- Scouts, was die Jugend so treibt in ihrer Freizeit, und wo sie ihre Schwächen hat. In seinem Grußwort ließ der Regierende Berlins, Eberhard Diepgen, übermitteln: „Nicht nur das Geld liegt auf der Straße, sondern neuerdings auch der Sport.“ Die Trend-Scouts finden heraus, wo beides liegt.

Viele Recherche-Ergebnisse der Trendagentur spiegeln sich auf den Courts wider. Hauptsache, die Klamotten sind zu groß, „Oversize“ das Zauberwort. Aus den riesigen Basketball-Botten staksen dünne lange Beine, um dann wieder in halblangen Shorts zu verschwinden. Knie wird nicht gezeigt. Über die Hüfte schlabbert das XXX-Large-T-Shirt. Die ganze Zeit stampft aus unzähligen Lautsprechern „angesagte“ Musik: HipHop. „Urbane Kultur von den Straßen Amerikas ist in“, sagt Stefan Mauerer von der Agentur. Und Inga Weise ergänzt: „Das Individuelle ist gefragt.“ Angesichts der Uniformierung der Spieler mag das bezweifelt werden. Das wäre auch nicht im Sinne des Sponsors.

Michael Graf ist überhaupt nicht in. Er hat enge Shorts an, auf denen noch nicht mal der Markenname steht. Sein Shirt ist ihm auch nicht viel zu groß. Und er trägt leichte Joggingschuhe. Er hat aber noch eine Chance: Sollte sein Team seine Division gewinnen, bekommt jeder das amtliche, angesagte, offizielle Streetball-Outfit.

Auf Platz 75 soll Grafs „Geronto“-Team das erste Spiel bestreiten. Die Spieler werfen sich warm. Als das Spiel vom „Courtmonitor“, dem Fast-Schiedsrichter, angepfiffen werden soll, steht nur das Team „Ski und Surf 2“ auf dem Platz. Der Gegner taucht nicht auf. Thomas schreibt auf seinen Spielbericht, daß Michael Grafs Team kampflos in die nächste Runde einzieht. Er ist 14 Jahre alt – könnte also locker Graf junior sein – und soll zusehen, daß auf Court 75 alles mit rechten Dingen zugeht. Er hat schon einige Spiele gepfiffen. „Hier funktioniert das mit dem Fouls-selber-Anzeigen“, sagt er. Fairneß wird erwartet.

Bei den European Finals, bei denen die Gewinner aus 20 Ländern gegeneinander antreten, funktioniert eher der Individualismus, der ja eben in ist – Ellenbogen pur. Die Courtmonitors haben alle Hände voll zu tun. Eigentlich ruft hier immer der Gefoulte „Foul“, und der Gegner macht ein unschuldiges Gesicht. Ein Franzose will einmal sogar gegen die Portugiesen handgreiflich werden. Und dann passiert auch noch das Unglaubliche. Ein Spieler hebt ab und stopft die Pille in den Korb. Der zählt aber nicht, denn das Schönste beim Basketball, der Slam Dunk, ist beim Streetball nicht erlaubt.