■ Mit Brasiliens Marktöffnung auf du und du
: Importe gegen Inflation

Rio de Janeiro (taz) – Mitten im Wahlkampf verärgert Brasiliens Regierung die heimische Industrie: Von einem Tag auf den anderen beschloß Wirtschaftsminister Ciro Gomes, die Importzölle für 445 verschiedene Produkte von durchschnittlich 35 auf 20 Prozent zu senken. Eiernudeln aus den USA, Autos aus Japan, Fernseher aus Korea sowie Maschinen aus Deutschland werden billiger und können so mit den Erzeugnissen der brasilianischen Industrie konkurrieren.

Eigentlich sollten die Importzölle schrittweise bis zum Jahr 2001 gesenkt werden. Darauf jedenfalls hatten sich die Präsidenten Brasiliens, Argentiniens, Uruguays und Paraguays vor zwei Monaten mühsam geeinigt. Die Mitgliedstaaten des gemeinsamen südamerikanischen Marktes „Mercosur“ wollen durch einen einheitlichen Importzoll den Handel im Binnenmarkt verstärken.

Doch zwei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen sind für die brasilianische Regierung wahltaktische Erwägungen wichtiger. Denn mehr importierte Waren und die dadurch verstärkte Konkurrenz sollen der Preissteigerung entgegenwirken. Und von der Stabilität der Preise hängt die Zukunft des ehemaligen Finanzministers und jetzigen Präsidentschaftskandidaten Fernando Henrique Cardoso ab. Cardosos Anti-Inflations-Programm drosselte Brasiliens chronische Inflation bereits von monatlichen 30 auf 3 Prozent. – Noch zu Monatsbeginn hatte der Vorsitzende der Industriellenvereinigung aus dem Bundesstaat São Paulo, Carlos Eduardo Moreira, die Regierung mit dem Versprechen, bis zum Ende des Jahres die Preise nicht zu erhöhen, zu besänftigen versucht, um Zollsenkungen zu entgehen. Doch vergebens. Durch die Importzunahme seien nun brasilianische Arbeitsplätze gefährdet, so Moreira.

Damit rückt der Unternehmer in die Nähe des bisherigen politischen Gegners Luis Inácio Lula da Silva, Präsidentschaftskandidat der brasilianischen Arbeiterpartei PT. Lula kritisierte den Beschluß der Regierung als „emotional und unsensibel“, weil dadurch die Wettbewerbsbedingungen im Land verzerrt würden. Um seiner Kritik Nachdruck zu verleihen und Lohnausgleich für die Preissteigerungen zu bekommen, befinden sich seit sechs Tagen 63.000 Metallarbeiter der brasilianischen Automobilindustrie im Ausstand. Astrid Prange